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Mit Mut nach vorn passieren Dinge

Wenn man das Spiel von Union gegen *Leipzig gestern als Unioner*in im Stadion gesehen hat, hat man wahrscheinlich nicht allzu genau auf Taktik geachtet. Außer vielleicht in der ersten Viertelstunde, als man nichts besseres zu tun hatte. Aber danach hat sich nicht nur das geändert, sondern erschien auch das Leistungsgefälle der beiden Mannschaften, zum Beispiel in physischer Geschwindigkeit und Handlungsschnelligkeit, so klar, dass es auf taktische Details nicht anzukommen schien. Die waren aber trotzdem interessant, und wollen wir uns hier in der Taktik-Analyse etwas genauer anschauen.

Union Verteidigung Taktik RB Leipzig
Keven Schlotterbeck und Union mussten viele überfordernde Situation verteidigen. Photo: Stefanie Fiebrig

Wie an dieser Einleitung schon zu merken war, ist dieser Text eine Taktik-Analyse des Spiels, wie sie bisher im Blog Eiserne Ketten erschienen sind. Wir haben uns zu dieser Saison entschieden, dieses Blog hier als Sektion des Textilvergehens weiterzuführen. Die bisherigen Texte von Eiserne Ketten sind auf dieser Archiv-Seite handlich sortiert.

Willkommen in der Bundesliga

Für Union war dieses Spiel das ‚Willkommen in der Bundesliga‘, was im Nachhinein vor allem auf den zu Tage getretenen Niveau- und Effizienz-Unterschied bezogen wurde. Aber in der ersten Viertelstunden schien es tatsächlich, als könne die Mannschaft von Urs Fischer sich ganz gut in der Liga einleben.

Denn Leipzig kam zunächst nicht zu gefährlichen Offensivszenen. Union gelang es in der Anfangsphase ganz gut, Leipzigs Passwege ins offensive Zentrum zu versperren. Aber das hielt eben nicht lange.

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1. FC Union, 1. Bundesliga, 1. Spieltag: Die Aufstellungen zu Beginn.

Die Sollbruchstelle für Unions Defensive war dabei das Verteidigen der Leipziger Flügelverteidiger Halstenberg und Klostermann. Denn die hatten in Unions Formation keine direkten Gegenspieler und zwangen Union so zu sehr unbequemen Entscheidungen: Wenn sich die Flügelstürmer Unions (Abdullahi und Bülter) um sie kümmerten, stand Union sehr tief, hatte überhaupt keinen Druck auf das Leipziger Aufbauspiel mehr und bekamen Kampl und Demme in der Zentrale viel mehr Spielraum. Und wenn die Außenverteidiger Unions auf die Flügelverteidiger herausgerückt wären, hätten sie sehr viel ungesicherten Raum hinter sich frei gemacht, in den Leipzig schneller hätte laufen und spielen als Union verteidigen können.

Suleiman Abdullahi
Suleiman Abdullahi hatte eine schwere Aufgabe, bei der manchmal Fehler gemacht hat. Photo: Stefanie Fiebrig

So mussten sich die Flügelverteidiger halbwegs um diese Gegenspieler kümmern, und die Sechser dort aushelfen. Das bedeutete aber für alle lange, anspruchsvolle Wege. Nicht zufällig waren es Fehler auf diesen Positionen auf beiden Flügeln, die zum 0-1 führten (siehe Szene des Spiels unten).

Im Gegenteil konnten Leipzigs Flügelverteidiger übrigens gut Unions Außenverteidiger unter Druck setzen, weil Leipzig überall auf dem Feld in quasi Eins-gegen-Eins Duellen im Pressing großen Druck ausüben und auch in der Dreierkette Unions Sturm weitgehend dominieren konnte.

Union am Ball
Union am Ball: Wenn Union nach vorne gespielt hat, gab es auch produktive Momente. Photo: Stefanie Fiebrig

Große Fehler hinten, kleinere Fehler vorn

In der Defensive brachte sich Union also mit systematischen und einigen großen individuellen Fehlern in Situationen, die eigentlich nicht zu verteidigen waren (zum Beispiel sei Andrichs katastrophaler Versuch, aufzudrehen vor Poulsens Latten-Treffer genannt.

In der Offensive waren es dagegen in den Angriffen, die Union zustande brachte, eher kleine Ungenauigkeiten, die verhinderten, das daraus echte Chancen wurden.

Aber natürlich hatte Union vor allem überhaupt viel zu wenige Angriffe, die ins letzte Drittel kamen. Das schien zwischenzeitlich daran zu liegen, dass Union Angst davor hatte, am Ball progressive Entscheidungen zu treffen (zum Beispiel: Trimmels Entscheidung nach 5:00 Minuten). Diese Angst war natürlich verständlich angesichts Leipzigs Pressing- und Konter-Stärke.

Aber wenn Union sie einmal ablegen konnte und , passierten Dinge. Etwa Unions beste Chance, als Andersson nach neun Minuten eine Flanke knapp verpasste, oder ein phantastischer Trimmel-Pass durch die gesamt gegnerische Hälfte in den Strafraum nach 26:50 Minuten.

Es passierten auch Fehler und Ballverluste. Aber eher nicht die besonders gefährlichen.

Öfter hatte man im eigenen Aufbau ein paradoxes Problem: Die Schwierigkeiten in der Spielauslösung, einen Weg ins Mittelfeld zu finden, äußerten sich in zu vielen kurzen Bällen in der Abwehr, nicht zu wenigen. So setzte man sich dem Leipziger Pressing aus und sich selbst unter Druck, ohne dabei Raum oder Möglichkeiten zu gewinnen (besonders eklatant bei einer Chance für Leipzig nach 36 Minuten).

Rafal Gikiewicz
Manchmal fehlten Union lange Bälle. Aber auch ein gutes Ziel dafür. Photo: Stefanie Fiebrig

Nach dem 3-0 (bei dem diesmal Schlotterbeck einen größeren Fehler machte, in dem er für ein aussichtsloses Kopfballduell seine Position verließ und so eine Schnittstelle, die eher eine Schneise war, öffnete) zur Halbzeit war dann die zweite Hälfte insgesamt garbage time, also Spielzeit, in der das Ergebnis feststeht und nicht länger beide Mannschaften alles investieren müssen. Daraus folgt deshalb wenig.

Taktik-Analyse, statistisch gesehen…

Die letztliche sehr klare Überlegenheit Leipzigs kommt auch in den ‚expected goals‘-Statistiken (hier von understat) zum Ausdruck. Diese Statistiken werden wir hier immer wieder zitieren (dank Unions Bundesliga-Zugehörigkeit sind sie auch viel leichter zugänglich), und wollen wir deshalb kurz erklären: die nach dem Verlauf des Spiels und den zu Stande gekommenen Chancen der Teams ‚zu erwartenden Tore‘ geben an, wie viele Tore aus diesen Gelegenheiten bei ’normaler‘ Chancenverwertung fallen würden. Ein klein wenig länger habe ich diese Statistiken schon einmal auf Eiserne Ketten erklärt.

Expected goals
Die Expected goals Werte von FiveThirtyEight. Neben diesem Modell, understat und 11tegen11 – siehe unten – gibt es noch ein viertes, von Michael Caley.

Von den ‚xG‘-Werten abgeleitet kann man dann nicht nur auswerten, ob ein Sieg eher glücklich (beziehungsweise durch starke Chancenverwertung und -vereitelung verdient) war, sondern auch darauf schauen, welche Spieler oder Mechanismen dazu beigetragen haben. Zur Berechnung der expected goals aus den Positionsdaten und Protokollen des Spiels gibt es verschiedene Modelle, die sich nicht unbedingt ganz einig sind.

Was an diesen Daten in diesem Spiel interessant ist, ist weniger, dass Leipzig hoch überlegen war, Großchancen hatte und Union ungefähr keine Chance hatte, das Spiel zu gewinnen. Das hat man auch so gesehen. Interessant fand ich eher, dass Union offensiv „nicht nichts gemacht“ hat, obwohl man über weite Strecken nicht im Spiel war. Nimmt man die 0,74 erwartbaren Tore von understat als Grundlage nimmt, und sich vorstellt, dass bei Unions Offensive gegen andere Gegner etwas mehr herauskommt, scheint es nicht allzu unwahrscheinlich, dass das für ein paar Punkte reicht. (Allerdings ist Between the posts da auch deutlich skeptischer).

Szene des Spiels

Für alle, die diese Rubrik nicht aus den Analysen auf Eiserne Ketten kennen: Die Szene des Spiels kann eine taktisch herausragend gute Szene sein; oder eine, die das Spiel taktisch gut zusammenfasst, oder auch zeigt, wie es vielleicht auch hätte laufen können; oder eine, die das taktische Geschehen übersteigt. Oder manchmal auch alles zusammen.

Christopher Trimmel Union
Manchmal reicht es auch, dass Christopher Trimmel etwas macht. Photo: Stefanie Fiebrig

In diesem Fall ist tatsächlich das 0-1 diese Szene. Nicht wegen des ironischen Zeitpunkts, zu dem es gefallen ist. Sondern weil es zeigte, welches Problem Union hatte: Man war gut und im Niveau nah genug am Gegner, um im Prinzip mitzuspielen und okay zu verteidigen, wie man es bis dahin getan hatte. Aber es gab auch durch Systematik und individuelle Klasse bestimmte Sollbruchstellen, an denen das gescheitert ist, und die einen ausreichend großen Unterschied gemacht haben, verlässlich zu Gegentoren für Union führten.

Beim 1-0 ließ man zunächst Klostermann leicht an den Ball kommen und versperrte ihm den Pass zu Sabitzer nicht. Und vergaß dann Abdullahi zuerst, Halstenberg zu folgen, und versuchte dass dann überhastet nachzuholen.


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7 Kommentare zu “Mit Mut nach vorn passieren Dinge

  1. Das Abwehrverhalten von Manni in der Situation zum 1:0 war sehr unterklassig. Völlig überhastet und überstürzt geht er da auf den Brausekicker. Der braucht nur den Haken nach innen zu machen. Entweder wird er gefoult oder Manni läuft ins Leere. Die Szene war hoffentlich lehrreich.

    Die zweite Hälfte empfand ich gar nicht als so inhaltslos. Durch die Hereinnahme eines zweiten Stürmers hatte ich das Gefühl, dass sich das Spielgeschehen weiter vom Tor entfernt hatte und Raba beim Spielaufbau besser gestört werden konnte. Nicht desto trotz war der spielerische Unterschied auch in HZ zwei deutlich.

    Was mir noch aufgefallen ist, war unser Umschaltspiel. Defensiv, wie in der Offensive waren wir immer ein paar Meter hinterher. Markant hierfür war das 0:4. Da waren ja mehr Raba Spieler in unserem Strafraum!

    Anschließend hätte ich noch gerne gehört, wie du den Zweikampf von Konate bewertet hast?

  2. Falls Du Zeit findest, würde mich mal sehr deine Einschätzung zur Bewegung einzelner Akteure auf dem Platz und zum Zusammenspiel in der Mannschaft interessieren. Mir sind da viele Dinge aufgefallen, die mich zunächst erstmal negativ stimmen. Christian Gentner wirkte auf mich in vielen Szenen deplatziert und konnte sowohl offensiv als auch defensiv sehr wenig Einfluss gewinnen. Außerdem gab zwischen ihm und Mitspielern offenbar viel Uneinigkeit über die Positionierung und Laufwege auf dem Platz. Gleiches habe Ich auch öfter bei Marius Bülter und Christopher Lenz beobachtet. Auch da offenbar immer wieder Missverständnisse mit anschließendem Schulterzucken und Kommunikationsbedarf. Klar, es ist das erste Ligaspiel und man kann wohl davon ausgehen, dass sich einzelne Routinen noch besser einspielen und Positionen und Laufwege klarer werden. Aber bisher wirkte vieles auf mich sehr konfus. Vergessen darf man dabei natürlich auch nicht, dass der Gegner ein ruhiges und geordnetes Aufbauspiel schwer bis unmöglich gemacht hat und auch bei Kontermöglichkeiten gefühlt immer die Überzahl bewahrt hat.

    Defensiv haben die Flügelstürmer gegen den Ball in der letzten Saison doch oft prima zweite Außenverteidiger abgegeben. Du hast zwar erklärt warum das jetzt gegen Leipzig nicht so geklappt hat aber was wäre denn ein praktikabler Lösungsansatz? Generell noch tiefer stehen?
    Und warum genau ist Manuel Schmiedebach aktuell eigentlich keine Startelf-Option? Einer der solidesten Defensivspieler der Vorsaison. Als zentralen Sechser vor der Abwehrkette kann ich mir sehr gut vorstellen, dass er mit robusten „SdT“-Aktionen den ein oder anderen Gegenstoß der Leipziger noch gut unterbunden oder verzögert hätte. Und auch seine Übersicht und Präzision für einen guten langen Ball nach vorn, hätten wir durchaus gebrauchen können. Das hab ich bei Gentner und Prömel etwas vermisst. Welche Vorzüge bringt Gentner gegenüber Schmiedebach denn mit? Die Körpergröße ist auf der Position ja nicht unbedingt das entscheidendste.

    So viel wollt Ich gar nicht schreiben, dabei hab Ich noch sehr viele weitere Gedanken zu dem Spiel. Einige Fragen werden sich wohl noch ein paar Spieltagen auch selbst beantworten. Ich musste mir wohl einfach mal ein bisschen was von der Seele schreiben, vielleicht kannst du ja wirklich auf 1-2 Punkte nochmal eingehen, würde mich freuen.

  3. Danke Daniel!
    Timo – genau, vieles ist nachdenkenswert!
    Geht mir auch so!!
    Mein Hauptpunkt ist:
    Mir war unser ganzes System auf „Mitspielen“ ausgelegt! Das war wohl eine „Spur“ zu optimistisch gegen einen
    CL-Aspiranten/Teilnehmer!?
    Vielleicht war das auch die Taktik von RB/Nagelsmann: 15 Min. uns gewähren lassen, dann aber eiskalt zuschlagen?
    Bin auf die nächsten Partien gespannt!
    VG aus Köpenick
    u.n.v.e.u.

  4. @Tim Was die zweite Hälfte betrifft hast du nicht Unrecht. Allerdings hatte Raba dann auch noch viel mehr Platz im Mittelfeld und kam viel häufiger aus Ballbesitz zu Chancen.

  5. In der Aufstellung vorn steht Pare drin, der saß aber auf der Tribüne.

  6. @Daniel: Das stimmt auch wieder. Vielleicht ist dann eine Überlegung in Richtung 3er Kette nicht verkehrt. So hat man bei 5er Mittelfeld genügend Zugriff auf Außen, wie aber auch in der Zentrale.
    Rafal
    Friedrich Subotic Schlotterbeck
    Becker Pömel Schmiedebach Gentner Bülter
    Andersson Ujah o.ä.
    Als Zuschauer ist es immer einfach zu sehen, was nicht funktioniert. Davon werden wir sicherlich genug diese Saison sehen. Schwer wird es aber hierfür Lösungen zu finden. Bin so gespannt, wie wir uns dieses Jahr schlagen und entwickeln!

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