Die Mitgliederversammlung gestern in der Ballspielhalle Hämmerlingstraße sollte vor allem Ruhe und Konstanz vermitteln. Die Zahlen, die Union liefert, sind absolut beeindruckend (Einnahmen für die abgelaufene Saison bei 43,978 Millionen Euro und Ausgaben bei 43,783 Millionen Euro). Für die laufende Spielzeit wird mit Einnahmen von 47,076 Millionen Euro bei ähnlich hohen Ausgaben (47,006 Millionen Euro) geplant. Aber jenseits dieser Zahlen gilt bei unveränderter Zielstellung eigentlich das Gleiche wie in den vergangenen Jahren, nur wird es nicht mehr so deutlich formuliert. Mein Eindruck ist, dass es auch gar nicht um die ewige Frage geht, ob sportliche Ziele öffentlich formuliert werden oder nicht. Es geht vielmehr darum, die Mitglieder (fast 3000 mehr. Nun insgesamt 21.395 und damit erstmals mehr, als in den Heimbereich des Stadions passen) mitzunehmen auf diese Reise durch ein sich wahnsinnig schnell veränderndes Profifußballumfeld.
Dieses „die Mitglieder mitnehmen“ lese ich heraus, wenn Präsident Dirk Zingler davon spricht, dass sie Fehler in der Kommunikation der Entlassung von Jens Keller gemacht hätten. Das lese ich auch daraus, dass Aufsichtsrats-Chef Thomas Koch ein besseres Miteinander in den sozialen Medien fordert (auch wenn ich aus beruflichen Gründen da eine ganz eigene Meinung zu solchen Aufrufen habe). Union ändert nicht die Ziele, Union ändert nicht die Geschwindigkeit. Aber die Vereinsführung hat in der vergangenen Saison vor allem in der Rückrunde mitbekommen, was für eine teilweise destruktive Eigendynamik ein Klub entwickeln kann, wenn er eine Unwucht bekommt.
Es spricht für den Präsidenten, dass er das die Verantwortlichen selbst lösen lassen wollte. Es spricht auch für ihn, dass er zum Schluss der Saison de facto selbst das Ruder übernommen hat, indem er ganz nah an die Mannschaft gerückt ist und bei Fahrten, Teambesprechungen etc. selbst dabei war. Und auch, dass er das als prinzipiell für falsch erklärt, dass ein Präsident so tief in das operative Geschäft eingreift.
Aber halten wir noch einmal fest: Am strategischen sportlichen Ziel Aufstieg hat sich nichts geändert, am Stadionausbau und dem Investment in Infrastruktur auch nicht. Union mischt sich als drittgrößter Verein in Ostdeutschland der Mitgliederzahl nach (hinter Hertha und Dresden) auch öffentlich in komplexe Debatten ein wie die Umgestaltung des Profifußballs ein.
Ich finde, dass das Thesenpapier noch mehr hätte knallen können, aber für die öffentlich so zahm geführte Debatte der Reform der DFL war das schon gut. Wer mehr zum Zustand der Reform der DFL wissen möchte und sich für die Bruchlinien interessiert, dem lege ich diesen Artikel von Sponsors ans Herz, in dem sich sehr ausführlich auch mit dem Reformvorschlag von Peter Peters beschäftigt wird, der merkwürdigerweise über ein halbes Jahr lang entwickelt wurde, dann aber im Hauruckverfahren durch die Gremien gepeitscht werden sollte.
Union ist keine Insel, auch wenn wir uns durchaus als Insel der Glückseligen bezeichnen dürfen (jedenfalls habe ich nach jedem Auswärtsspiel dieses Gefühl). Es dürften sehr stürmische Zeiten auf die Zweite Liga und den Profifußball insgesamt zukommen (schaut euch diese Saison bitte den Showdown in Hannover an, an dessen Ende die Pulverisierung der schon sturmreif geschossenen 50+1-Regel stehen kann, schaut euch die gescheiterte Regionalliga-Reform und den Aufstand der Drittligaklubs dagegen an, RBB).
Was ich auf der Mitgliederversammlung wirklich wichtig und gut fand, auch wenn er leider nicht dabei sein konnte: Die Auszeichnung von Tino Czerwinski (TeeCee) mit der Goldenen Ehrennadel des Vereins. Das ist so unglaublich verdient. Ich bewundere die Kraft und Beharrlichkeit, mit der er sich immer für den Verein eingesetzt hat. Und das in Zeiten, als prinzipiell die Existenz des Vereins auf dem Spiel stand.
Alle Details zur Mitgliederversammlung findet ihr in diesen Texten der Berliner Medien:
- Mitgliederversammlung bei Union: Auf Seuchenjahr folgt Rekordetat (Kurier)
- Union wächst mit stolzer Brust weiter (BZ)
- Union ist bereit für die Bundesliga (Morgenpost)
- 1. FC Union nimmt 1,7 Millionen Euro mehr ein als geplant (Berliner Zeitung)
- Der 1. FC Union will weiter wachsen (Tagesspiegel)
- Eisernes Kuscheln (RBB)
Der Aufsichtsrat wurde wie erwartet in seiner bisherigen Zusammensetzung wiedergewählt.
Gab es noch etwas Sportliches?
Daniel hat bei Eiserne Ketten erklärt, was eingerückte Außenverteidiger sind, und wie diese vom HSV verfolgte Taktik Union auf den Flügeln in eine Zwickmühle zwang.
Und sonst so?
Ich habe heute mal ein paar Lesetipps:
- Es wird ja gerne alles Schlechte im Stadion auf den Schultern der Ultras abgeladen. Was die Verdienste sind (zum Beispiel das Zurückdrängen der klassischen Hools und rechtsextremer Tendenzen) wird selten anerkannt. Dieses Zeit-Interview mit Michael Gabriel von der Nationalen Koordinationsstelle der Fanprojekte, die gerade 25-jähriges Bestehen feiert, rückt dieses Verdienst in den Vordergrund. Und vor allem rückt sie in den Vordergrund, dass Repression kein Mittel ist, um langfristig etwas zu ändern. Repression ist aus meiner Sicht ein Mittel, um kurzfristig etwas zu unterdrücken.
- Im WDR gibt es einen Kommentar gegen den NRW-Innenminister, der das Zünden von Pyro im Stadion am liebsten als Straftatbestand gewertet und mit Gefängnis bestraft wissen möchte: Haft für Pyrotechnik ist Populismus
- Ebenfalls einen Kommentar gibt es in der Süddeutschen Zeitung. Hier allerdings zum Thema Doping, das im Fußball weiter so behandelt wird, als würde es das nicht geben. Allerdings, und das wird in dem Text sehr deutlich, muss man sich mittlerweile schon die Augen zuhalten, um das nicht zu sehen. So lange Fußballer sich vor unangekündigten Kontrollen ungestraft drücken können und es nur diese sinnlosen Wettkampfkontrollen nach Spielen gibt, wird Doping jedenfalls nicht bekämpft.
- Und einfach weil dieser Artikel so wichtig ist, hier noch einmal die Lese-Empfehlung für den Text von Sponsors über die Reformbemühungen im deutschen Profifußball.
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könnt ihr bitte noch der vollständigkeit halber ein foto mit den zahlen zu den ausgaben veröffentlichten?
nicht nötig, hab das bei der berliner Zeitung fefunden.
Schade das der Posten Merchandising nicht einzeln mit einer Summe aufgeführt wurde. Hätte mich mal interessiert weil immer wenn ich im Shop Ringcenter bin, ist der leer.
@Michael. auch ohne zahlen im Detail zu erfragen – auf einer mitgliederversammlung kann man z.b. die frage stellen, ob sich der fanshop im ringcenter betriebswirtschaftlich rechnet. ;-)
Zum Thema Pyro gab’s gestern auch die „kollegiale Wortmeldung“ des Innenministers von S-A im „mdr-Sport“ mit dem gleichen Ziel, der Verschärfung der Strafen! Die Herrn werden sich wohl abgestimmt haben!
u.n.v.e.u.
Ich fand den Rant von Sebastian, dass es keine Vorstellung der AR Mitglieder außerhalb des Fantreffens gab, sehr gut. Darüber hatte ich mir bisher noch keine Gedanken gemacht. Wir als Mitglieder müssen sowas, dann aber auch einfordern.
Ggf. würde uns auch mal eine Frau in den Gremien (Geschäftsführung / AR) gut tun. Nur mal so ….
Was bedeutet die das Kürzel „ZVG“? Kann man im Netz noch mehr Fotos von ZVG zur gestrigen MV finden?
Ich verstehe das gesamte Prozedere zur Aufsichtsratswahl nicht: weshalb gibt es keine „Auswahl“ (Beispiel: 5 oder mehr aus 10 oder 12), weshalb wird die Tagesordnung der MV nicht an die Anwesenden verteilt (der Umwelt zuliebe?)? Weshalb wird ein zurückgezogener Antrag überhaupt erwähnt? Aber wenn man ihn schon erwähnt, sollte man konsequenterweise dann auch berichten, was Gegenstand dieses Antrags war.
Dirk Zingler war auf jeden Fall wieder in Hochform gestern.
entscheidend sollte immer zuerst die qualifikation sein, nicht ob jemand irgend eine bestimmte „quote“ erfüllt.
Wenn man sich umschaut, wird man sicherlich qualifizierte weibliche Mitglieder finden. ;-)
Qualifizierte Männer gäbe es ja bestimmt auch noch einige…schon sehr bezeichnend, dass es KEINE weiteren Kandidaten gab. Könnte es vielleicht daran liegen, was der alte/neue Vorsitzende über das seit Jahren fest zusammengewachsene Aufsichtsrat-Bündnis sagt?
„Meine Kollegen und ich freuen uns sehr über das Ergebnis der Wahl. Fachlich sehe ich uns gut gewappnet, den vor uns liegenden Herausforderungen adäquat zu begegnen. Als Personen kennen und schätzen wir uns seit Jahren und wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können“, so Thomas Koch und ergänzt: „Die Basis unserer Gemeinschaft bei Union ist Vertrauen und dieses ist hier gegeben und gerechtfertigt.“
Fachliche Qualitäten haben mehrere, das jahrelang gewachsene Vertrauen muss man sich halt erwerben. Nur wie, wenn nicht im Amt?