Ich bin gestern extra zeitig in die Freiheit 15 nach Köpenick gefahren, um mir vor Vorstellungsbeginn des Theaterstücks „Wir werden ewig leben“ noch die Partie in Heidenheim anzusehen. Wahrscheinlich sollte ich eher schreiben „von Heidenheim“, denn Union war beim 0:3 nicht in der Partie. Hatten die Spieler am Montag Braunschweig noch klar gemacht, dass es an ihnen kein Vorbeikommen geben würde, waren sie in Heidenheim häufig einen Schritt zu spät und ließen dem Gegner Platz.
Freiheit 15 kurz vor Einlassbeginn des neuen Union-Theaterstücks "Wir werden ewig leben" #fchfcu pic.twitter.com/diFQSkL6lc
— Textilvergehen (@textilvergehen) December 9, 2016
Ich hoffe einfach, dass Dennis Daube nicht schon wieder schwerer verletzt ist (laut Jens Keller hat er sich die Schulter ausgekugelt) und frage mich beim von ihm verursachten Elfmeter, ob man sich als Stürmer da wirklich so fallen lassen muss. Für mich war das schon grenzwertig. Keine Schwalbe, aber auch kein Foul. Würde mich ernsthaft interessieren, wie da ein Videoschiedsrichter entscheiden würde. Auf das Ergebnis des Spiels hatte das aber keinen Einfluss. Die Niederlage war hoch verdient.
Wenn es diese Spiele nicht gäbe, würde man die guten wahrscheinlich nicht erkennen.
— rudelbildung (@rudelbildung) December 9, 2016
Das sind die Spielberichte der Berliner Medien:
- Union-Profi verletzt sich bei Elfer-Foul (Bild)
- Mist! Für Union war’s doch Leidenheim (Kurier)
- 0:3! Union kommt in Heidenheim unter die Räder (BZ)
- Unions bitterer Abend in Heidenheim (Morgenpost)
- Ein ganz mieser Abend für die Eisernen (Berliner Zeitung)
- Union rutscht ab (Tagesspiegel)
- Kommentar: Hoffnung auf ein gutes Ende bleibt (Kurier)
Fotos vom Spiel gibt es bei unveu.de
Theater mit Zaunfahnen #fcunion pic.twitter.com/eWZnX4CXQb
— Textilvergehen (@textilvergehen) December 9, 2016
Die zweite Halbzeit des Spiels sah ich bereits im Zuschauerraum, wobei uns allen spätestens ab dem Elfmetertor zum 2:0 klar war, dass im Spiel nichts mehr zugunsten von Union passieren würde. Aber verpassen wollten wir es auch nicht.
"Aber dafür gewinnen wir dann gegen Fürth." – "Sage mal, hast du heute die falschen Tabletten genommen?" #fchfcu #fcunion #theatertalk
— Textilvergehen (@textilvergehen) December 9, 2016
Das Theaterstück „Wir werden ewig leben“
Das zweite Stück von Regisseur und Autor Jörg Steinberg ist anders als „Eisern Union – Das Stück zum Spiel„, das seit 10 Jahren immer vor Weihnachten gespielt wird. Das verwundert erst einmal. Denn die Schauspieler und Charaktere sind dieselben geblieben. Doch während das erste Stück sehr viel mit Nostalgie und dem Geist von Union zu tun hat und die Vereinsgeschichte und Biographie des Protagonisten sich immer wieder treffen, hat das neue Stück mit diesem wohlig warmen Gefühl nichts zu tun. Oder sagen wir mal so: Fast nichts.
In der ersten Hälfte vor der Pause werden wir in eine düstere (und leider nicht allzu ferne) Zukunft eingeführt, in der unsere gealterten Helden wie Relikte aus einer alten Zeit wirken („Selbst Klatschpappen sind verboten“). Das Weihnachtssingen findet vor über 100.000 Leuten im neuen Hertha-Stadion statt, Auf- und Abstieg wurden abgeschafft und nun soll auch noch der Name des Stadions an der Alten Försterei der Werbung weichen.
Mich hat das alles noch etwas ratlos zurückgelassen, denn düstere Zukunftsfantasien sind ja bei weitem nichts Ungewöhnliches in der Fußball-Literatur und im Fußball-Journalismus.
Untergang jetzt auch in Frankreich @11Freunde_de @sofoot pic.twitter.com/a6mTezWyV9
— christoph biermann (@chbiermann) December 9, 2016
Vor allem muss man aufpassen, dass die dunklen Zukunftsfantasien auch wirklich übertrieben sind und in der Zukunft stattfinden. Denn die Gegenwart klopft eher an, als man das vielleicht glaubt. Von 5 Auswechslungen ist im Stück die Rede. Mittlerweile sind in Verlängerungen 4 Auswechslungen erlaubt. Die Fifa denkt über die Abschaffung der Unentschieden nach und von den Football-Leaks will ich gar nicht erst anfangen.
Jörg Steinberg, der das Stück seit 3 Jahren plant und in den vergangenen 5 bis 6 Monaten geschrieben hat, gelingt es im zweiten Teil wirklich sehr gut, all diese dunklen Entwicklungen, denen wir uns hilflos gegenübersehen, auf Union herunter zu brechen. Plötzlich tauchen Fragen auf, denen wir uns selbst ständig gegenüberstehen. Und die für uns immer größer werden.
Wie gehen wir damit um, dass immer mehr zu uns kommen? Was ist eigentlich diese Tradition, auf die wir uns immer so viel einbilden? Wie verändern die Rahmenbedingungen im Fußball Union, obwohl wir im Inneren damit gar nicht mitgehen? Welchen Einfluss haben wir überhaupt noch? Und vor allem: Ab wann ist es eigentlich genug? Ab wann ist es uns eigentlich zu viel, so dass wir ebenso resigniert wie eine Figur im Stück sagen: „Ich möchte noch einmal absteigen.“ Wohl wissend, dass das gar nicht mehr geht.
Wer ein bisschen die Diskussionen verfolgt, die rings um die Erweiterung des Stadions an der Alten Försterei und die Kartenvergabe (deren eigentlicher Ablauf den meisten sicher erst mit dem Pokalspiel in Dortmund klar wurde) geführt wurden und geführt werden, bekommt unweigerlich das Gefühl, dass Steinbergs neues Stück so etwas wie der Seismograph von Union ist. Hier spürt man, was die Menschen im Verein gerade bewegt. Und jeder im Publikum muss sich selbst fragen: Wie halte ich es eigentlich mit dem Fußball? Und bis zu welchem Punkt bleibt Union für mich noch Union?
Mir hat gefallen, dass darauf im Stück keine konkrete Antwort gegeben wurde. Wir sehen, wie die Hauptfiguren anhand von Sofas in der Wuhle (eine großartige Szene) versuchen, ihre Standpunkte zu verargumentieren. Und sie scheitern dabei. Denn den einen, den wahren Standpunkt gibt es nicht. Es gibt kein richtig und falsch. Auch Fans von Rasenballsport Leipzig können das Richtige tun, obwohl sie für uns doch eigentlich alles Falsche verkörpern. Alle Standpunkte müssen immer wieder überprüft werden.
Und das ist es, was ich aus dem Theaterstück mitnehme: Wenn mir Entwicklungen nicht gefallen (beispielsweise die Entwicklung des Weihnachtssingens), kann ich mich zurückziehen, kann ich dagegen protestieren, kann ich mitmachen und es ein bisschen so gestalten, dass es so wird, wie ich will. Oder aber: Ich kann einfach etwas Neues machen, eine neue Tradition starten. Es ist unsere Entscheidung. Und die nimmt uns niemand ab.
111 Punkte, den Fußball für alle zu retten
Wenn ich das nach dem Theaterstück richtig beobachtet habe, dann hat das Stück einen Nerv getroffen. Die Leute standen zusammen und haben diskutiert. Aber, und das schließt sich nicht aus, sie fühlten sich auch gut unterhalten. Einfach weil Jörg Steinberg es wieder geschafft hat, Dialoge und Sätze zu schreiben, die alle einzeln auch auf einem Shirt stehen könnten. So wie „Natürlich will ich Meister werden. Aber doch nicht zehn Mal hintereinander!“
Und dann waren da noch die „111 Punkte, den Fußball für alle zu retten“, die im Stück eine Rolle spielen und im Zuschauerraum als Flugblätter herumlagen:
Ich hoffe, dass dieses Stück seinen Platz findet im Unionkalender und so viele wie möglich es sehen können.
Mehr Fotos vom Theaterstück gibt es bei union-foto.de
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Bevor Fragen kommen: Ja, Jörg Steinberg hat mir erlaubt, Fotos vom Theaterstück zu machen und zu veröffentlichen.
Diese Diskussionen führen wir gerade nach 2 Jahren unterklassigem Fußball bei Falke.
Das Gute aber ist ja, dass wir in unseren Vereinen die Chance auf Mitbestimmung haben. Dieses so wichtige Gut muss erhalten werden