Und ich hatte noch prognostiziert, dass wir das Torwart-Thema jeden Tag bis zum Spiel über uns ergehen lassen müssen. Das war wohl nichts. Meine seherischen Fähigkeiten sind damit wohl ungefähr genauso gut wie Norbert Düwels glückliches Händchen bei der Keeperwahl.
Das Thema sind stattdessen die Ausschreitungen beim Regionalliga-Spiel Union II gegen den BFC Dynamo im und um das Stadion. Zunächst die Zahlen: 8.192 Zuschauer sahen die Viertliga-Partie, die von gut 300 Polizisten und zusätzlich auch von Ordnern geschützt wurde. Es gab laut Polizei 175 Festnahmen, die nicht unterschieden werden nach Fanfarben oder Ort der Festnahme, obwohl das bei der Aufarbeitung der Vorfälle durchaus helfen würde. 112 Beamte wurden verletzt, davon mussten laut Polizei zwei ambulant behandelt werden. Eine Aussage über Art und Schwere der Verletzungen gibt es auch nicht.
Was passierte im Stadion?
Ich sehe zwei verschiedene Sachverhalte: Die Ausschreitungen im Stadion und dann die Scharmützel außerhalb. Es geht nicht um die Bewertung der einzelnen Fangruppen, sondern nur um die Frage, ob Union als Verein etwas daran hätte ändern können. Entscheidend dafür ist die Zahl derjenigen Union-Fans, die von der Waldseite auf die Haupttribüne stürmten und dort die BFC-Anhänger zu vertreiben. Einen versuchten Sturm des Gästeblocks können wir sicher ausschließen. Die Polizei nennt 300 Union-Fans, die auf die Haupttribüne rannten:
Foto: Screenshot der PM der Berliner Polizei
Union dagegen beziffert die Zahl derjenigen auf 30:
Es fehlt leider eine Totale aus dem Stadion, aber hier auf dem Bild kann ich keine 300 Unionfans beobachten, die auf die Haupttribüne strömten. Gemeint sind die vorwiegend in schwarz gekleideten Anhänger, die unten an den Sitzen entlang laufen:
Foto: Matze Koch
Diese Unionfans wurden von Ordnern aufgehalten. Das belegen Fotos:
Foto: Matze Koch
Erst danach kam es zum Polizei-Einsatz jeweils vor dem Gästeblock und an der Waldseite. Und vor und nach dem Spiel kam es zu wohl teils heftigen Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Fangruppen und der Polizei.
Interessant ist, dass bis auf den Tagesspiegel und den Kurier alle anderen Berliner Medien ungeprüft die Angaben der Polizei übernehmen, nach der 300 Unionfans die Haupttribüne gestürmt hätten (BZ/Bild, Morgenpost, Berliner Zeitung). Hier zeigt sich eine Schwierigkeit in der Polizei-Berichterstattung, in der die Kontakte zu Beamten, die Information weitergeben (wie gestern der unveröffentlichte Polizeibericht an die Polizeireporter der Berliner Zeitung und der Bild/BZ), vielleicht wichtiger sind als das Zwei-Quellen-Prinzip im Journalismus, nach der für eine Behauptung mindestens zwei voneinander unabhängige Quellen aufzutun sind. Wenn die sich widersprechen, muss man es so machen wie der Tagesspiegel:
Neben den Stehplatzrängen der Union-Ultras auf der Waldseite hatten sich zehn Minuten vor dem Abpfiff rund 40 teilweise vermummte Personen – die Polizei sprach von 300 – versammelt und mit ihrem Sturmlauf in Richtung des hinteren Teils der Haupttribüne für Unruhe gesorgt.
Anwesenheit im Stadion ist bei der Überprüfung der Zahlen vielleicht hilfreich, aber nicht notwendig gewesen. Es gibt genug Bild und Filmmaterial von den Vorfällen.
Viele Fragen bleiben offen
Anhand der dargestellten Fakten bleiben tatsächlich ein paar Fragen offen, die ich nicht beantworten kann. War der Polizei-Einsatz im Stadion überhaupt notwendig? Ich vermute ja, um ein Aufeinandertreffen der beiden Fanblöcke zu vermeiden. Hier spielen sicherlich die Vorkommnisse vor dem Spiel eine Rolle bei der Entscheidung der Einsatzleitung, im Stadion aktiv zu werden. Ob der Einsatz in dem Ausmaß gerechtfertigt war, wäre die nächste Frage.
Mich würde die Rolle einzelner Gruppen bei den Vorfällen außerhalb des Stadions interessieren. Die Berliner Zeitung erwähnt mit Berufung auf die Polizei die Hells Angels als aktiv an Auseinandersetzungen beteiligt. Auf Unionseite würde mich interessieren, welche Gruppen dort aktiv waren. Dann wüsste ich tatsächlich gerne, wo Festnahmen stattgefunden haben und zu welcher Vereinsseite die Leute sich zugehörig fühlen. Und wie groß die Überschneidungen zwischen den angezeigten Personen und denen in der landeseigenen Gewalttäter-Sport-Datei sind. Zum Thema Prävention: Gab es Gefährdeansprachen vor dem Spiel und wenn ja, was haben sie konkret gebracht? Gleiches gilt für die Verletzungen der Polizisten. An meiner persönlichen Einschätzung „Das war große Scheiße.“ wird das nichts ändern, aber für die ernsthafte Aufarbeitung der Vorfälle und Vorbeugung bei für zukünftige Veranstaltungen wäre das sinnvoll.
Wir hatten gestern Abend im Podcast eine längere und sehr lebhafte Diskussion über den Sinn und Unsinn, auf eigene Faust BFC-Fans aus dem Heimbereich zu werfen, und über den Umgang mit dem BFC an sich.
Sportlich tut sich nichts berichtenswertes. Der Kurier hat mit Sören Brandy telefoniert.
Entdecke mehr von Textilvergehen
Subscribe to get the latest posts sent to your email.
[…] Bildmensch im Speziellen bekommen von Willmann eine ordentliche Breitseite. Auch Sebastian Fiebrig (Textilvergehen) begibt sich auf Faktensuche. Marco Bertram (turus) wundert sich über widersprüchliche […]