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Die Zeit ist nun gekommen

Spieltag. Sonnenschein. Noch eine Stunde bis Anstoss. Schon beim Abstellen meines Motorrads vor dem Mellowpark fällt mir auf: ganz schön voll hier.  Ein Harley-Davidson-Fahrer parkt neben mir. Er kommt aus Zehlendorf. Früher ist er auch mal in Charlottenburg im Stadion gewesen, aber eigentlich wollte er immer lieber zu Union. War schon lange nicht mehr da, heute ist dann wohl der richtige Tag. Große Vorfreude. Er fragt, wo es langgeht. Man wünscht sich ein tolles Spiel, dann ziehe ich weiter Richtung Stadion.

Im Vorfeld des Regionalliga-Nachholspiels von Unions 1. Frauenmannschaft gegen das Team von Hertha BSC war schon klar, dass es auf einen neuen Besucherrekord hinausläuft. Aber trotzdem wirkt heute alles deutlich belebter als erwartet. Wuselige Aufgeregheit überall. Schon 200 Meter vor dem Stadion spüre ich keinen wirklichen Unterschied zu einem Heimspiel der Männermannschaft.

„Männer können vor!“

Der Andrang am Eingang an der Haupttribüne ist groß, ich ziehe gleich weiter zur Bierkasse und auch da gibt es lange Schlangen. Ich entscheide mich für die Reihe ganz rechts, irgendwie geht es zäh voran. Ich schaue mich um: neben viel typischem Union-Publikum gibt es auch viele, die nicht den Eindruck machen, häufiger da zu sein. Viele Kinder, viele Frauen. Neue Leute, die es endlich mal in die Alte Försterei schaffen. Toll.

Viele neue Zuschauer beim Derby gegen Herthy, Foto: Stefanie Fiebrig

Ich stehe immer noch in der Schlange und habe mich mittlerweile bis auf 5 Meter den Ticketscannern angenähert. Ich frage mich immer noch, was eigentlich so lange dauert und werde dann in meinen Gedanken vom Ruf eines Ordners unterbrochen: „Männer können vor!“

Ich breche fast zusammen vor Lachen. Heute stehen die Frauen von Union im Mittelpunkt und schon am Eingang wird klar, dass Männer heute mal die zweite Geige spielen. Ich nutze mein unerwartetes Privileg ziehe an der zahlreich vertretenen Damenwelt vorbei und bin im Nu im Stadion. Verkehrte Welt. Grandios.

Alles normal

Im Stadion dann das erwartete Bild; Gegengerade, Waldseite und Haupttribüne sind angenehm voll. Am Ende werden 12.511 Zuschauer:innen verkündet (eine große Zahl Kinder sicherlich nicht mitgerechnet) und das ist so die Art Füllstand in der Alten Försterei, die der Sweet Spot zwischen „gut besucht“ und „nicht zu voll“ ist.

Es liegt eine hervorragende Stimmung in der Luft und es ist jetzt schon klar, dass dieser Tag jeden „FrauenFußballFeiertag“ der letzten Jahre übertreffen wird. Dazu hat natürlich der bisherige Saisonerfolg des Teams kräftig beigetragen, aber auch ganz unabhängig davon scheint die „Zeit nun gekommen“ zu sein. Alles wirkt auf eine erfrischende Art und Weise „normal“.

Der Rhythmus der Trommel ist schnell, Foto: Stefanie Fiebrig

Völlig normal, dass das Spiel mit der bekannten Arbeit’schen Liturgie eröffnet wird. Völlig normal, dass die Spielerinnen im selben Stil wie ihre männlichen Kollegen auf dem Bildschirm mit einem kurzen Jubelvideo gezeigt werden. Völlig normal, dass nach jedem Namen ein „Fußballgöttin“ durch das Stadion schallt. Alles ist wie immer und genau deshalb ist dadurch auf einmal alles anders.

Der einzige, der die gewohnte Liturgie dann doch noch nicht so ganz auf dem Zeiger hat ist lustigerweise Christian Arbeit selbst, der beim Ankündigen des ersten Tores komplett vergisst, den neuen Spielstand und das „Und niemals vergessen“ auszurufen. Auch beim zweiten Ansatz ruckelt es noch und erst beim Traumtor von Athanasia Moraitou zum 3:0 bekommt er die Kurve, was bei den Umstehenden für allgemeine Belustigung sorgt.

Der Support ist gut. Übrigens auch bei den Gästen. Deren Block ist gut gefüllt, sie machen ordentlich Alarm und starten eine kleine Choreo zu Beginn des Spiels. Doch auch Waldseite und Gegengerade sind gut unterwegs und es wird souverän fast das gesamte Repertoire des Union-Liedguts abgesungen.

Der Gästeblock: Konfetti, Fahne und Support für Hertha BSC, Foto: Stefanie Fiebrig

Der Trommler auf der Waldseite hat sich in der ersten Halbzeit von den oberen Rängen langsam bis zum Capo-Podest vorgearbeitet und versucht mit der Dynamik der Gesänge mitzuhalten. Wie schon bei den Spielen in der Dörpfeldstraße legt er die perkussive Begleitung oft ein wenig zu stramm an, heute wird er allerdings von der Masse der Leute in seinem Tempo etwas ausgebremst.

Die Professionalisierungs-Strategie geht auf

Ich merke, dass sich etwas anpasst und wie überfällig dieses Heimspiel in der Alten Försterei gewesen ist.

Das Team sorgt schon zur Halbzeit für die Vorentscheidung und es geht mit 5:0 in die Pause. Das Team wird jubelnd in die Pause verabschiedet. Im Block wird diskutiert, für welche Spielstände die alte Anzeigetafel eigentlich ausgelegt ist. Auch wenn in der zweiten Halbzeit kein Tor mehr dazu kommt, tut das der Laune im Stadion keinen Abbruch.

Fünf Mal wurde die Ergebnistafel an der alten Anzeigetafel gewechselt, Foto: Stefanie Fiebrig

Am Ende fahren die Frauen damit den 18. Sieg in Folge ein. Die Überlegenheit des Teams in der Liga ist offensichtlich und wir verstehen, dass es an der Professionalisierung des Frauenfußballs bei Union liegt. Es ist trotzdem beeindruckend, wie gut der Plan aufgeht.

Es ist Platz für zwei erste Mannschaften bei Union

Aber was noch viel wichtiger ist und was sich an diesem sonnigen Sonntag in Köpenick deutlich gezeigt hat: es ist Raum da für zwei erste Mannschaften. Raum in der Alten Försterei, aber noch viel wichtiger: Raum in den Köpfen. Die erste Frauenmannschaft dieses Vereins wird von den Fans genauso angenommen wie die erste Herrenmannschaft. Kampf und Leidenschaft, Spaß und Begeisterung, Stolz und Wir-Gefühl: all das wird vom Team der Frauen genauso hervorgerufen wie von den Männern und es wirkt auf mich, als ob sich Union auf einmal verdoppelt.

Es gibt jetzt eine realistische Chance für das Team in die Zweite Bundesliga aufzusteigen und es ist in meinen Augen absehbar, dass dieses Heimspiel künftig keine Ausnahme bleiben wird. Die Spiele der Frauen sind attraktiv genug um das Stadion auch jenseits von Derbys gut zu füllen. Auch wenn die jetzt schon überarbeiteten Mitarbeiter:innen des Vereins mit etwas Horror auf eine Zukunft schauen, in der die Alte Försterei nicht nur jedes zweites Wochenende komplett in Betrieb genommen wird, ist das eine Perspektive, die mich optimistisch stimmt.

Ein Wollen-wir-wiedersehen-Foto: Das Team hüfpt nach dem Sieg vor der Waldseite, Foto: Stefanie Fiebrig

Nach dem Spiel gibt es lange Schlangen vor dem Zeughaus. Es gibt offenbar noch viele Menschen in Berlin, die sich gerne der Union-Gemeinschaft anschließen möchten und mit der Frauenmannschaft öffnet sich Union einem noch größeren Teil der Gesellschaft. Und das ist auch gut so.


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8 Kommentare zu “Die Zeit ist nun gekommen

  1. Toll zusammengefasst und entspricht genau meinen Empfindungen!

  2. Hallo Tim,

    toller BEitrag, der den schlönen Tag gestern sehr gut beschreibt.

    Ich denke, dass die 12.511 Zuschauer nur die zahlenden waren, mit Kiddies wird´s wohl eher in Richtung 15.000 oder mehr gegangen sein.

    Ich freue mich dann schon mal auf die Relegation… aber nur bei den Frauen ;-)

    Eiserne Grüße

    Martin

  3. Ich bin gespannt, welche Kulturen und Gepflogenheiten, die es schon gab, in die Stadionatmo bei den Männerspielen mitgenommen werden. Dass die Fankultur aus dem Männerfußball in die Frauenligen schwappt, seit immer mehr Teams im Leistungsfußball zu Clubs mit einem Profimännerteam gehören, ist offensichtlich und auch fein. Vielleicht schaut Ihr neben der Begeisterung für die neuen Räume, Eure Leidenschaften zu leben, was da war und ist und macht einen bidirektionalen Zusammenschluss draus? Das wäre sehr, sehr fein — und (imho) richtig & wichtig.

  4. Schöner Beitrag! Danke dafür!
    Und Danke an unsere Frauen für den tollen Sonntag
    Eine Bitte:
    Könnt ihr den Männer nichtmal Nachhilfe im Toreschießen geben?
    Bjelicas Mantra, dass es die letzeten Spiele besser wird, schein mir doch arge Augenwischerei zu sein.
    Siehe Volland (Becker hätte den gemacht) und Schäfer, da fällt einem nix mehr zu ein.

  5. Toller Beitrag, der mich auch aus der Ferne die Aufregung, Begeisterung, und das Neue bei Union miterleben lässt.

    Ich würde noch hinzufügen, dass der Club durch seinen infrastrukturellen Rückstand den Damen einen Raum bietet, in dem sich die Union-Frauenfußballkultur ausbreiten und weiterentwickeln kann. Oder man könnte andersherum sagen, dass die Frauen den tausenden Unioner:innen (und potentiellen Neuunioner:innen), die Woche für Woche draußen bleiben müssen, ein wunderbares Angebot schaffen, dass die Fans dankend annehmen.

    Die Professionalisierung der Frauenabteilung noch zu Zeiten des infrastrukturellen Rückstandes (in Sachen Stadionkapazität) voranzutreiben, ist, ob bewusst oder unbewusst, ein brillanter Schachzug des Vereins. Es bleibt zu hoffen, und da bin ich voll bei Mo, dass Unions Frauenfußballkultur geehrt und das Fanerlebnis am Spieltag der Frauen nicht zu einer 1:1 Kopie des Männerspieltags wird.

  6. Daniel vom Schlachthofviertel

    Bei jedem einzelnen Satz dachte ich: Ja. Genau so habe ich das auch erlebt.
    … und möchte ergänzen: es ist auch Platz für zwei zweite Mannschaften. Spätestens seit der Professor ist absehbar, dass junge Frauen, die seit Jahren bei Union gut ausgebildet werden, in der Luft hängen werden, wenn sie der Jugend entwachsen sind und die Profimannschaft im Moment gerade oder noch nichts für sie ist. Zurück in den Verein, von dem sie sich in der E-Jugend verabschiedet haben? Da passen sie nicht mehr hin.

  7. Liebe Unioner,

    vielen Dank für euren wieder einmal herausragenden Beitrag! Wie immer teile ich eure Ansichten voll und ganz. Unser Stadionerlebnis war einfach großartig, frei von Gedränge und aggressivem Verhalten. Es erinnerte mich ein wenig an früher – nur mit viel besserem Fußball als damals bei den Herren, als die Stadien noch nicht so gut besucht waren. Die Frauen zeigen deutlich erkennbare Spielzüge und einstudierte Standards, was ich absolut bewundernswert finde. Ihnen gebührt allerhöchster Respekt für ihre Leistung.
    Eiserne Grüße Philipp

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