Bei den Zitaten aus der Medienrunde mit Yorbe Vertessen am Mittwoch habe ich ein wenig aufgehorcht. Es ist an sich schon ungewöhnlich, wenn ein Union-Spieler seine Unzufriedenheit über zu wenig Einsatzzeit öffentlich äußert. Aber erst recht, wenn er gerade einmal einen Monat im Verein ist. Doch ich möchte hier keine Stildebatte lostreten, sondern frage mich, ob Vertessen ungeduldig ist oder Dinge nicht eintreten, die mit ihm besprochen wurden, als er von einem Wechsel zu Union überzeugt wurde.
Aber von Anfang an. Was hat der belgische Offensivspieler eigentlich gesagt (von der Medienrunde berichten Morgenpost+, Bild, Kurier und Berliner Zeitung):
„Ich bin ein wenig enttäuscht, dass ich noch nicht so viel gespielt habe.“
„Ich passe gut in das Team, bringe das gewisse Extra mit. Die Zeit ist gekommen, um mehr Minuten zu bekommen oder auch zu starten.“
„Wir werden sehen, wie es läuft. Wenn ich oft nicht spiele, werden wir reden.“
Zuerst dachte ich beim Lesen dieser Zitate: Wie ungeduldig kann man eigentlich sein? Aber dann habe ich mich noch einmal in den Januar versetzt, als mit Vertessen und der PSV über einen Wechsel verhandelt wurde. Da war Union noch in einer ganz anderen tabellarischen Situation und der Existenzkampf in jeder Spielminute spürbar. Dazu kam, dass die Mannschaft sich durch Verletzungen und Sperren fast von selbst aufstellte und der Trainer seine augenscheinlich bevorzugte Formation mit echten Flügelspielern nicht spielen lassen konnte.
Nun haben wir Ende Februar, aus der Not wurde bei Union eine Tugend und Bjelica setzt weiter auf Schienenspieler. Die schieben im Zweifel einzeln nach vorne, so dass situativ eine Viererkette in der Defensive entsteht. Für echte Flügelstürmer scheint aktuell vor jedem Spieltag dasselbe zu gelten wie unter Urs Fischer: Wir haben leider kein Foto für dich.
Doch dem Trainer kann ich es nicht verdenken, dass er hier pragmatisch auftritt. Es geht vor allem darum, Punkte zu sammeln. Deshalb haben wir unter Bjelica vielleicht nicht den Offensivfußball gesehen, für den der Trainer stehen will. Aber wir haben Erfolge feiern können. Acht Punkte zum Relegationsplatz. Dieser Abstand ist der Wert, der aktuell bei Union den Erfolg definiert.
Doch was machen wir nun mit den Flügelstürmern? Gerade wenn Manager Oliver Ruhnert vor Kurzem noch den Angreifer so lobt: „Vertessen setzt jetzt schon Dinge im Training um, die andere Spieler gar nicht können.“ Die Antwort findet sich ein wenig in der Aufstellung der Partie gegen Heidenheim, in der Aaronson und Hollerbach im Sturm anfingen. Und da würde ich den Belgier eher um etwas Geduld bitten. Denn er wird seine Chancen dort bekommen.
Dass Union schnell auf andere Grundordnungen wechseln wird, glaube ich hingegen nicht. Denn es hat sich eine gewisse Stabilität in der aktuellen Formation gefunden. Auch wenn die sich in Spielen durchaus situativ verändert. Aber von einer Dreierkette und einem zentralen Mittelfeld aus drei Spielern würde ich grundlegend ausgehen. Deshalb bleibt der Kampf um Einsatzzeiten im Angriff tatsächlich extrem hart. Stichwort Enttäuschung: Vielleicht fragt Vertessen mal bei Chris Bedia nach.
Aber im Ernst: Bei allen Fähigkeiten, die der belgische Offensivspieler mitbringt, gehe ich davon aus, dass er recht bald die Nase vorne haben wird. Einfach weiter angreifen.
Was ist sonst beim Männer-Team los?
Robin Gosens und seine Zukunft bei Union. Der linke Schienenspieler, der bis jetzt Unions erfolgreichster Torschütze ist, wird gegen Dortmund fehlen. Sein Podcast-Auftritt bei Hotel Matze und Wechselmöglichkeiten aufgrund von Ambitionen in der Nationalmannschaft werden thematisiert (Tagesspiegel, MOZ).
Die Bild (Bezahl-Artikel) fragt sich, ob Unions Abwehr auseinander bricht. Grundlage für diese Frage sind Gerüchte über Interesse anderer Clubs an Diogo Leite (Real Madrid habe angeblich wegen einer Leihe angefragt) und Danilho Doekhi. Dazu kommt bei auslaufenden Verträgen die geschwächte Position von Robin Knoche in dieser Spielzeit und die fehlende Berücksichtigung von Paul Jaeckel. Ich kann dazu nur zwei Dinge sagen. Erstens: Ja nun, so ist das Geschäft. Und zweitens: Ich finde es immer gut, wenn es Interesse an Spielern von Union gibt. Denn das bedeutet, dass sich die Spieler entwickeln und durch ihre Leistungen für Union dafür sorgen, dass Interesse an ihnen geweckt wird.
Bild (Bezahlartikel) berichtet: Kevin Volland wird nach dem Sieg gegen Hoffenheim nachts in Berlin-Mitte eine sehr teure Uhr geklaut (für den Wert bekomme ich in der Uckermark fast ein Haus) und Jerome Roussillon zeigt Sprinterqualitäten, die wir gegen Dortmund auch sehen wollen, weil er den Dieb fängt. Am Ende ist die Uhr allerdings stark beschädigt.
Lucas Tousart hat sich im zentralen Mittelfeld festgespielt. Das würdigt die Morgenpost+.
Ansonsten gibt es bei 11Freunde (Bezahlartikel) eine Eloge auf die Waldseite, die von Jacob Sweetman. Ich weiß allerdings nicht, ob alles, was dort geschrieben ist, einer kritischen historischen Prüfung stand hält. Aber so etwas halten wir bei Union aus. Schließlich erzählen wir überall von der Aktion „Bluten für Union“, obwohl das in Wirklichkeit die Idee einer Werbeagentur war.
Wer die Podcasts zum Spiel gegen Heidenheim noch nicht gehört hat, hier sind die Links zu den aktuellsten Episoden von Textilvergehen, Taktik&Suff und Kiek an.
Was ist beim Frauen-Team los?
Am Sonntag gibt es endlich wieder ein Pflichtspiel. Es ist das erste in diesem Jahr. Gespielt wird das Viertelfinale im Berliner Pokal gegen Hertha. Alle 1500 Tickets für die Partie auf der Fritz-Lesch-Sportanlage in Adlershof sind weg. Trainerin Ailien Poese hat vor der Partie in einer Medienrunde darüber gesprochen (BZ). Vor allem ging es aber um die Liga. Die Herausforderung mit Blick auf mögliche Aufstiegsspiele beschrieb Poese so: „Am Ende, wenn alles gut geht in der Rückrunde, hängt es an zwei Spielen. Und das sind die Relegationsspiele. Da musst du on point sein. Dementsprechend musst du dich in jedem Spiel fordern.“
Und sonst so?
Ich weiß nicht, wie viel Puls ihr gerade habt. Aber wenn ihr ein bisschen vertragen könnt, dann lest bitte weiter:
Über den aktuellen Status der Datenspeicherung über Fußballfans durch die Polizei schreibt Netzpolitik. Auch darüber, dass es den Versuch gibt, die unterschiedlichen Länderdatenbanken zu verknüpfen, obwohl es seit 30 Jahren schon eine gemeinsame Datei gibt: Dritte Halbzeit für Polizeidateien?
Was macht man, wenn man irgendeinen Fall verloren hat? Dann versucht man zumindest die Debatte zu gewinnen durch Reframing, also Umdeuten der tatsächlichen Ereignisse. So geschieht es gerade nach dem Ende der Investorengespräche bei der DFL. Martin Kind, der Beinahe-Besitzer von Hannover 96, darf in der Süddeutschen Zeitung (Bezahlartikel) von einer Krise bei der DFL reden.
Eine Krise, wenn sie denn überhaupt so existiert, die er durch sein eigenes mutmaßliches Abstimmungsverhalten erst selbst ausgelöst hat. Denn die Fanproteste dürften nur ein Teil des Drucks gewesen sein. Dass sich das Kartellamt wieder bei der DFL wegen der Einhaltung der 50+1-Regel gemeldet hat, dürfte einen ganz anderen Druck erzeugt haben.
Und in einer DFL-Medienrunde hat Hans-Joachim Watzke (BVB/DFL) erzählen dürfen, dass nur eine Minderheit der Fußballfans gegen die Investorenpläne gewesen sei (Kicker). Die Mehrheit habe geschwiegen. Das Schöne an solchen Aussagen ist, dass man sie nicht belegen muss. Man kann es einfach behaupten. Schweigende Mehrheit. Damit kann ich alles totmachen. So lange nicht über 40 Millionen Menschen in Deutschland auf die Straße gehen, ist alles eine schweigende Mehrheit. Denen kann ich jede Haltung unterschieben, denn sie schweigen ja.
Sorry, bei so viel Stammtischgerede platzt mir echt die Hutschnur. Statt sich zu fragen, was eigentlich schiefgelaufen ist bei der DFL und den Clubs, wird hier darauf abgehoben, dass nur eine Minderheit sich dagegen gewehrt habe. Nichts darüber, dass die 36 Clubs gar keine gemeinsame Vorstellung haben, wie sie die Bundesliga und die Zweite Liga weiterentwickeln wollen, wofür der deutsche Profifußball stehen soll und welche Themen konkret durch welche Maßnahmen angegangen werden sollen. Stattdessen denkt man bei mehr Vermarktung an das Zeigen von Busankünften und Einblicken in die Kabine. Wenn ein Spiel wie Wolfsburg gegen Hoffenheim schon keine Sau interessiert, dann erst recht nicht, wenn dort ein Bus zum Stadion fährt und Profifußballer mit Kopfhörern aussteigen.
Es wird null darüber gesprochen, wie die Clubs ihre Mitglieder in den ganzen Prozess einbinden, damit solche Entwicklungen auf einer breiten Basis stehen und man sich nicht hinter einer geheimen Abstimmung verstecken muss. Wäre das vorher passiert, hätte es die Proteste gar nicht gegeben. Aber klar Hans-Joachim Watzke, am Ende ist die DFL nur vor einer Minderheit eingeknickt … Manchmal frage ich mich, ob die Leute das selbst glauben, was sie da erzählen.
Zuletzt noch das: Vielleicht kann jemand hier weiterhelfen? Ihr könnt uns auch eine Mail an redaktion@textilvergehen.de schicken und wir leiten das weiter.
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