Am 28.9.2023 startet der Film „Wochenendrebellen“ von Marc Rothemund (Regie) und Richard Kropf (Drehbuch) in den Kinos. Die Hauptrollen spielen Florian David Fitz, Cecilio Andresen, Aylin Tezel und Joachim Krol. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Buch von von Mirco und Jason von Juterczenka. Erzählt wird die Geschichte eines Vater-Sohn-Gespanns, die als „Wochenendrebellen“ gemeinsam zu Fußballspielen fahren.
Kennt ihr das Gefühl, etwas Kostbares in den Händen zu halten, das euch sehr ans Herz gewachsen ist, und ihr habt die ganze Zeit Angst, es geht euch kaputt, weil ihr es falsch anfasst? So geht es mir mit diesem Film. Ich möchte unbedingt erzählen, wie sehr der mich getroffen hat. Gleichzeitig bin ich mir sicher, ich werde das nicht richtig machen. Da werden schiefe Töne und falsche Begriffe drin sein. Aber wisst ihr noch was? Da unten gibt’s eine Kommentarspalte. Ergänzt, korrigiert, stellt klar. Dann funktioniert es vielleicht trotzdem.
„Wochenendrebellen“ ist der Film zum Buch zum Blog von Mirco und Jason. Vater und Sohn bereisen seit etwa einem Jahrzehnt per Zug zunächst Deutschland, später Europa, um einen Lieblingsfußballverein für Jason zu finden. Das hört sich bis hier hin an wie bewährte Fußballromantik, denn dass sich Fußballfans im Sinne ihrer Sache eigenwillig verhalten, darüber berichten ebenfalls mit dem Zug reisende Nicht-Fußballfans oftmals sehr verstört. So zusammengefasst wäre es ein Roadmovie, bloß ohne road, dafür mit viel Schiene. Reise-Erzählungen halt. Groundhopping meinetwegen. Und das hätte für einen soliden Fußballfilm schon vollkommen ausgereicht.
„Wochenendrebellen“ ist deshalb mehr als ein Groundhopper-Film, weil Jason neben neugierig und klug auch Autist ist. Das verträgt sich in seinem Fall nicht immer gut mit den Situationen, die dem Fußball eigen sind: Menschenmengen, Gedränge, Lärm. Das verträgt sich oftmals auch nicht besonders gut mit dem Alltag einer vierköpfigen Familie, den Abläufen in einer Schule oder einem Essen im Bord-Restaurant.
Der Film nähert sich dem Thema Autismus nach meinem Verständnis sehr behutsam und sieht von Verallgemeinerungen ab. Von Anfang an wird deutlich gemacht, dass Autismus ein Spektrum ist – alle Autist*innen haben gemeinsam, dass einfach niemand vorher sagen kann, wie sich Autismus auf ihr Leben auswirken wird. Die handliche Formel aus dem Film „Rainman“ (die älteren Menschen erinnern sich vielleicht) – alle Autisten sind intellektuell hochbegabt und sozial nicht kompatibel – die ist Quatsch.
Stattdessen wird in kurzen Sequenzen das Gefühl vermittelt, das für Jason, also für eine spezifische, autistische Person, entsteht, wenn die Außenwelt zu viele, zu laute und widersprüchliche Signale sendet. In einer Filmszene werden dazu alle Umgebungsreize ungefiltert gleich stark nebeneinander abgebildet. Das verursacht auch bei Menschen , die nicht autistisch sind, Schmerzen. Für einen Moment meine ich zu verstehen, wie sich das anfühlt – und dann retten mich aber meine Filter. Oder mein ohnehin schlechtes Gehör. Jason muss da ohne vergleichbare Schutzmechanismen durch. Muss er wirklich? Er müsste doch da nicht hingehen. Doch. Weil er dazu neigt, Dingen auf den Grund zu gehen, und weil Wissenwollen größer ist als die Aussicht auf extrem ungemütliche Situationen. Was davon nicht weggeht oder überwunden wird, ist Autismus. Das ist das einzig verallgemeinernde, was sich über Autismus sagen lässt.
Das ist aber immer noch nicht alles, was der Film thematisiert. Es geht auch um Eltern im Verhältnis zu ihrem Kind. Dem möchte ich etwas voranstellen. Jason akzeptiert diese Bezeichnung für sich nicht, weil sie vieles einschließt, das er wirklich nicht ist oder ablehnt (Er erklärt das besser als ich es je könnte im neuen Wochenendrebellen-Buch „Chaos auf Augenhöhe“). Ich habe nur gerade kein besseres Wort dafür. Kinder haben bedeutet immer, auch mit den pflegeleichtesten ihrer Art, an die eigenen Grenzen zu stoßen. Alle Eltern wissen das. Ich würde von mir sagen, ich habe mich im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte in eine extrem ungemütliche Situation begeben, als ich mich auf das Elternsein eingelassen habe. Fremde Kinder stinken. Die eigenen niemals. Kotze ist ekelhaft. Was mir mein Kind alles in hohem Bogen auf die Schulter und ins Auto gespuckt hat, habe ich vollständig verdrängt. An Elternliebe ist wirklich nichts Rationales. Der Film strapaziert diese Grenze noch einmal bis zum Äußersten. Ich weiß, dass Eltern, eben weil sie ihre Kinder lieben, sich selbst sehr zurücknehmen können. Im Film wird der Kraftakt Elternschaft auf eine Weise sichtbar gemacht, die mir als Filmthema so noch nicht begegnet ist. Darüber wissen wahrscheinlich all die Eltern Bescheid, deren Kinder ebenfalls auf die eine oder andere Art durchs Raster fallen und die immer schon dem zermürbenden Dreiklang aus Ansprüchen des Kindes, Forderungen Dritter und fehlender Inklusion in sämtlichen Lebensbereichen ausgesetzt waren. Dauerfeuer von allen Seiten. Der Film ist streckenweise wirklich viel weniger Komödie, als die Beschreibung vermuten lässt.
Ganz zum Schluss sehe ich noch etwas, von dem ich weiß, dass der echte Mirco es auch sieht. Im Film muss ein Vater sehr viel Aufwand betreiben, um etwas über seinen Sohn herauszufinden, das der Mutter schon lange klar ist. Und er wird selbstverständlich dafür gelobt. Mütter rollen mit den Augen. Dafür kann der Film nichts, dafür kann die ganze Geschichte nichts. Dafür kann aber eine Gesellschaft etwas, die es normal findet, dass Mütter sich kümmern, aber Fürsorge väterlicherseits optional ist. Lasst uns das ändern, bitte.
Die Transferleistung, die ich bei dieser Filmbesprechung nicht hinbekomme, ist Folgende: Ich kenne Mirco durch Bloggen und Podcasten, durch das 11-mm-Festival, den #tkschland in Köln und die Akademie für Fußballkultur in Nürnberg schon sehr lange und habe dadurch auch Jasons Weg mitverfolgt. Ich verneige mich tief vor den vielen Dingen, die die beiden geschafft haben und an denen sie kontinuierlich arbeiten. Wenn aber Florian David Fitz, der Mirco spielt, so nah an Gesten des realen Mirco dran ist oder beide sogar in der gleichen Szene auftauchen (Spoiler, ja – aber auch eine Lieblingsszene), kann ich die Ebenen nicht mehr trennen. Da greifen Film und Leben so hart ineinander, dass ich nicht mehr klar benennen kann, ob ich eigentlich über den Film spreche oder über die beiden Menschen, die ich kenne. Der Film bleibt nah bei ihnen, sie haben beide sehr viel daran mitgearbeitet. Vielleicht ist das also nicht so schlimm. Ich freu mich unbändig, dass es diesen Film gibt.
Nun ist dies hier mehr oder weniger ein Union-Blog. Kommt Union in dem Film vor? Ja, was denkt ihr denn! Man kann doch nicht bei der Suche nach dem Lieblingsverein Union auslassen. Nicht mal, wenn Papsi Fortune ist und andere Teile der Familie es mit Dortmund halten. Diese Gespräche, die es so nur unter Fußballfans gibt, die sind natürlich da. So ist der Film eben auch lustig, unterhaltsam, schnell, mit pointierten Dialogen. Das ist vielleicht sogar seine größte Stärke: Schwere Themen werden ganz leichtfüßig und verständlich bearbeitet, ohne dass es sich wie eine Belehrung anfühlt. Eine schöne, emotionale Achterbahnfahrt. Fantastische Hauptdarsteller. Einfach ein ganz hervorragender Film – Empfehlung aus vollem Herzen!
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Kann man mehr für etwas angefixt werden als von diesem Text?
Danke, Stefanie!
Und das Beste – die Eintrittskarten werden nicht mal verlost…
Danke, Steffi!
„Ganz zum Schluss sehe ich noch etwas, von dem ich weiß, dass der echte Mirco es auch sieht. Im Film muss ein Vater sehr viel Aufwand betreiben, um etwas über seinen Sohn herauszufinden, das der Mutter schon lange klar ist. Und er wird selbstverständlich dafür gelobt. Mütter rollen mit den Augen. Dafür kann der Film nichts, dafür kann die ganze Geschichte nichts. Dafür kann aber eine Gesellschaft etwas, die es normal findet, dass Mütter sich kümmern, aber Fürsorge väterlicherseits optional ist. Lasst uns das ändern, bitte.“
Das finde ich sehr wichtig. Ich frage mich auch wie eine solche Geschichte aus der Perspektive einer Mutter erzählt werden könnte.
Am Anfang passiert das ein Stück weit, da sieht man sehr gut, wie weit die Perspektiven auseinander klaffen, speziell auch, was die Mutter alles weiß und im Alltag umsetzt. Wie sie Dinge ganz anders beurteilt. Und die Sicht des Vaters ist wie ein Gegenschnitt dazu. An wichtigen Stellen findet dann später eine Art Abgleich statt. Da wird sozusagen auch ein Lernprozess gezeigt.
Ich habe den Trailer letztens im Kino gesehen und mir da schon gedacht, dass ich den sehen möchte. Bei dem Titel war ich vorab etwas skeptisch „zur kitschig“ dachte ich. Nun noch diese „Kritik“ hier und ich weiß, dass ich den Film sehen muss! Es freut mich, dass anscheinend beleuchtet wird, dass ein Autist nicht gleich ein Autist ist. Das gilt im übrigen für diverse „Defizite“ / „Besonderheiten“. Menschen, die von jedweden Diagnosen betroffen sind bleiben primär individuelle Menschen! Es gilt für alle, dies zu verstehen und bei Bedarf individuell zu helfen. Aber vor allem einander mit Respekt zu begegnen und zuzuhören.
Vielen Dank Steffi, für den gelungenen Text!
Ich muss gestehen, dass bei der Ankündigung „deutscher Film über Autismus mit Florian David Fitz“ schon mein interner Schutzschild hochging. Diese Besprechung hier wird mich das noch mal überdenken lassen.
PS: Noch mal ein ganz besonderes Lob für diesen schönen Satz: „Ich würde von mir sagen, ich habe mich im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte in eine extrem ungemütliche Situation begeben, als ich mich auf das Elternsein eingelassen habe.“
Darf ich fragen, ob das auf Florian David Fitz beruht oder eher deutscher Film über Autismus? Ich finde gerade bezüglich Florian David Fitz ist mir das oft zu sehr über ein Kamm geschoren. „Vincent will Meer“ ist z.B. ein weiteres gutes Beispiel für einen Film mit ihm, der sich gut gucken lässt. Sicherlich hat er auch andere Filme, aber welcher Schauspieler hat durchgehend gute Filme?
Das kommt eher von Florian David Fitz. Der steckt für mich in der Kategorie „Matthias Schweighöfer & Co.“: beschwingte deutsche Komödie ohne Inhalt mit nerviger Popmusik als Soundtrack.
Ick verneige mir vor Dir!
Eine Bereicherung ….
DANKESCHÖN!
Eisern
Bin absolut kein Kinogänger, aber auf den Film freue ich mich schon seit Wochen. Danke für den Beitrag!
Liebe Steffi,
Vielen Dank für diese Review. Ich habe den Trailer bereits meiner Familie gezeigt, da ich ihn gerne zusammen gucken möchte. Denkst du, dass der Film auch für einen 7 jährigen etwas ist oder ist er dann doch zu schwer?
Das finde ich schwer zu beantworten. Ich glaube schon, dass das auch Siebenjährige verstehen können, weil es einfach auch eine Familiengeschichte ist. Das ist also im eigenen Lebenserfahrungsbereich drin. Was dann wieder von Mensch zu Mensch verschieden ist: Wie lange reicht die Aufmerksamkeit? Also da explodiert nix. Außer manchmal Jason :) Ich würd´s glaube einfach drauf ankommen lassen. Es ist jedenfalls nichts Beängstigendes dabei, eher viel Tröstliches und echt ein Haufen Liebe.
Danke.
Wow Steffi, vielen vielen Dank für diesen kulturellen Appetitanreger.
Wer mal die Original-Protagonisten hören mag, dem sei das Tribünengespräch vom Podcast Rasenfunk, der*die Eine oder Andere mag ihn kennen, mit den Wochenendrebellen ans Herz gelegt. Ist ne super Folge!!!
Sehr gerne, und danke für den Hinweis!
Ich freue mich auch schon riesig auf den Film. Einerseits, weil ich vor 6 Jahren hier im Blog bei der Verlosung des Buches Glück hatte und es dann regelrecht verschlungen habe. Freud und Leid liegen bei diesem Thema immer so dicht beieinander. Und andererseits gab’s ja vor kurzem die Ankündigung zur Fortsetzung des Buches – da bin ich auch schon gespannt.
Und dann heute noch dein Statement dazu, Steffi. Einfach toll!
Grandios geschrieben!. Solltest du beruflich machen….;))
Habe das Buch vor Jahren mit meinem (autistischen) Sohn während einer Prag-Reise zum Derby Slavia vs. Sparta gelesen. Zum 19. haben wir ihm nun Tickets für die Film-Preview geschenkt, auf die wir uns nach deiner einfühlsamen Rezension umso mehr freuen. Im Gegensatz zu Jason war mein Sohn allerdings seit dem ersten Spiel in unserem Wohnzimmer mit dem Union-Virus infiziert. Things happen.
Eisern!
Ich verfolge die Geschichte der beiden auch schon sehr lange. Und ich war nicht sicher, ob ich die Verfilmung wirklich sehen wollte. Aber durch deinen Text, in dem in jedem Satz erkennbar ist, was für eine Herzenssache das ist, sind alle Bedenken zerstreut. Ich hatte Angst, dass man nicht liebevoll genug (also für mich) mit der Geschichte umgehen könnte.
Danke.
Danke Steffi für diese Rezension!
Ich kannte die Geschichte hinter dem Film und den Film an sich bisher nicht.
Aber ich weiß, was es bedeutet, ein Kind im Autismus-Spektrum zu haben (auch wenn die Ausschläge ins Spektrum tw nur gering sind, von „fremden Personen“ daher nicht/kaum gesehen und vom eigenen Vater größtenteils ignoriert werden, weil das Kind ja dann nicht „normal“ wäre.)
Ich werde mir den Film auf jeden Fall anschauen. Wahrscheinlich am besten mit den Kindern.
Vielleicht bekomme ich/wir auch Denkanstöße, wie ich es doch mal mit beiden Jungs ins Stadion schaffe. Der Lütte ist nämlich sehr Fußballbegeistert und möchte gern mal ins Stadion. Beim Großen habe ich bedenken wegen der Lautstärke und den Menschenmengen. Vor allem ersteres ist nicht seins, obwohl es mit den Jahren schon besser geworden ist. Und Interesse an Fußball hat er auch.
[…] auf den Film „Wochenendrebellen“, der in zwei Wochen in die Kinos kommt. Steffi vom Textilvergehen hat ihn schon gesehen und einen schönen Text dazu […]
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