In den letzten Spielen vor Saisonende passieren oft verrückte Dinge. Unerwartete Siege, viele Tore. Das wirbelt nicht nur Tippspiele durcheinander. Wie wahrscheinlich sehr viele Unionfans hatte ich schon bei Bekanntgabe des Spielplans einen unfassbaren Respekt vor dem Restprogramm von Urs Fischers Team: Wolfsburg, Leverkusen, Rasenballsport. Unattraktiv und stark. Die wohl schlimmste Kombination, die sich der moderne Fußball ausgedacht hat, um uns zu knechten.
Gegen diese Mannschaften mit echtem Ergebnisdruck spielen zu müssen und vielleicht auch noch ohne Selbstbewusstsein … Das war meine Angst. Aber all das ist weg, weil das Team eine sagenhafte Spielzeit hingelegt hat. Weil sie uns noch eine dritte Saison in der Bundesliga schenkt, auf dass wir vielleicht endlich mal zu wirklich jedem Spiel gehen können. Und weil das nicht genug ist, winkt da noch die Chance auf den Europapokal.
Die Mannschaft kann also nur noch gewinnen. Sollt es mit Europa nicht klappen, dann gibt es keinen Grund zu trauern, denn das Team hat dann immer noch die erfolgreichste Ligaplatzierung seit 35 Jahren hingelegt. Das ist historisch. Mal wieder historisch, möchte man da beinahe hinzufügen. Denn wir kommen zur Zeit aus historischen Spielzeiten gar nicht heraus.
Lehnt euch also zurück heute Nachmittag, wenn das Spiel anfängt und genießt. Denn ich muss schon sagen, mich hat wohl niemand so gut durch die Pandemie gebracht wie der 1. FC Union. Er hat nicht nur meine Wochen im steten Einerlei des Homeoffice strukturiert, indem er mir durch die Spieltage angezeigt hat, dass Wochenende ist. Er hat für Highlights gesorgt in dieser erlebnisarmen Zeit. Wenn mir die Nachrichten zu stark aufs Gemüt schlugen, musste ich nur die Tabelle anschauen. Natürlich brauche ich keinen Fußball zum Überleben. Ich möchte das nicht überhöhen. Aber für die Stimmung war diese Saison mit Union wirklich ein Glücksfall.
Zum Spiel heute um 15.30 Uhr in Wolfsburg: Max Kruse fällt eventuell aus. Hier sind die Vorberichte der Berliner Medien:
- Ruhe vor dem Turm (Tagesspiegel)
- Was die jüngsten Gerüchte über die Torwartsituation beim 1. FC Union aussagen (Berliner Zeitung)
- Auf Union wartet in Wolfsburg ein „Knoche-Job“ (Morgenpost)
- Andrich setzt im Endspurt um Europa auf „Lockerheit“ bei Union (BZ)
- Unions Robert Andrich setzt auf die Leichtigkeit des Seins (Kurier)
- Schlotterbeck: „Kruse führte mich ins Bundesliga-Leben ein“ (Bild)
- Robert Andrich: „Das wird eine schöne Aufgabe für uns“ (RBB)
- Bei Kruse ist Union-Trainer Fischer „vorsichtig“ (Kicker)
Passend zu meiner leicht rührseligen Stimmung hat der Podcast der Union-Stiftung Wir – Union vereint in dieser Woche eine Episode mit Susi Kopplin veröffentlicht, bei der ich beim Hören fast rechts rangefahren wäre, um eine Träne der Rührung wegzuwischen. Nicht nur erzählt sie, dass sie jetzt töpfert, sondern auch, was es bedeutet, Corona von der Mannschaft wegzuhalten. Welche Einschränkungen das für jede Person im Umfeld bedeutet. Wie sie auf ihre Kurse verzichtet deshalb Wie sie nicht mehr einkaufen geht. Sie erzählt das ganz normal. „Ick will ja niemanden schaden, weeßte?“ Erst die Arbeitsquarantäne in dieser Woche und ab nächster Woche Quarantänetrainingslager. Ich bin gespannt, wie viel Ton Susi Kopplin mitnimmt und ob danach vielleicht auch ein paar Spieler Schüsseln töpfern können.
Die Mannschaftsleiterin erzählt aber auch davon, wie sie in der Allianz-Arena einen Besen gesucht hat, beim Hertha-Zeugwart nach einem Trikot gefragt und wie sie Rafal Gikiewicz bei der Augsburger Mannschaft zum Geburtstag überrascht hat. Und in jedem Satz über ihre Arbeit schwingt Respekt mit. Respekt vor der Arbeit anderer. Und sei es das Zeugwart-Ehepaar von Rasenballsport. Hört euch die Episode an.
Und beim DFB so?
Showdown beim DFB. Gestern veröffentlichte der DFB eine Pressemitteilung von Präsident Fritz Keller und löschte sie kurz darauf. Ich kann mir förmlich vorstellen, wie die Drähte in Frankfurt geglüht haben. In der Mitteilung teilte Keller mit, dass er nicht zurücktreten, sondern sich einem ordentlichen Verfahren stellen werde. Hier das gelöschte Dokument:
Es gibt sicher einige, die ein Interesse daran haben, dass der Fall Keller weder vor einem DFB-Gericht noch auf einem außerordentlichen DFB-Bundestag verhandelt wird, weil der Noch-DFB-Präsident dann vielleicht mehr Personen mit sich reißen könnte. Deshalb verwundert es nicht, dass Landes- und Regionalverbände ein Amtsenthebungsverfahren gegen Keller fordern (Kicker). Liest man dagegen, was die Süddeutsche Zeitung über mutmaßliche Intrigen von Rainer Koch schreibt, fällt es schwer zu glauben, dass der bestens vernetzte und aus dem Hintergrund agierende Multifunktionär aus Bayern trotz PR-Offensive noch in seinen unzähligen Ämtern bleiben kann. Alles wissen, aber für nichts verantwortlich gemacht werden, so schien bisher Kochs Strategie zu sein. Mal sehen, ob er sich heute Abend im Aktuellen Sportstudio sich aus der Affäre ziehen kann.
Bin gespannt, wie oft der @DFB heute noch Tweets veröffentlicht und wieder löscht … Wäre witziger wenn Keller, Curtius, Koch und Osnabrügge sich mit eigenen Accounts bekriegen würden Dann könnte der Verband vielleicht arbeiten und merken, dass alle vier entbehrlich sind. pic.twitter.com/EEjtMqtZ8R
— Sebastian Fiebrig (@saumselig) May 7, 2021
Aus meiner Sicht ist es unerträglich, das sich jemand als erster Vertreter der Interessen der Amateure geriert, gleichzeitig aber für eine Champions League in Form einer europäischen Super League stimmt und die DFB-Akademie nicht verhindert/verkleinert hat, weil die Kosten den gesamten Verband und damit auch die Regional- und Landesverbände belasten. Rainer Koch hat nicht die Interessen der Amateure vertreten. Denn sonst hätte es vielleicht auch mal eine Regionalligareform gegeben, die diesen Namen verdient gehabt hätte. Aber als Chef des Bayerischen Fußballverbands bestand er darauf, dass Bayern seine eigene Liga behalten müsse.
Strukturell stehen die Amateure so schlecht da wie noch nie. Sie tragen im Fußball die Hauptlast der Corona-Pandemie. Gleichzeitig ist auch dank Rainer Koch das Verhältnis zum professionellen Fußball in Deutschland so schlecht wie nie. Und der DFB hat als einer der größten verbände der Welt kaum Gewicht bei Uefa oder Fifa. Ich könnte so weiter machen. Der DFB ist nur noch ein Trümmerhaufen. Und es fällt schwer vorzustellen, wie das in absehbarer Zeit wieder repariert werden kann.
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Ich kann jedes Wort unterschreiben…. Speziell was den DFB und seine Führung betrifft. Heute vor 76 Jahren wurde Deutschland vom Faschismus befreit……heute wäre ein guter Tag sich vom DFB zu befreien.
Was unsere Mannschaft betrifft….mehr als Stolz ( obwohl mir das Wort nicht gefällt)., Sensationell , Wahnsinn und Glücks trunkend……fällt mir auch nicht ein. Ein träumchen.
Susi, wie immer super kurzweilig. Tolle Frau! Eisern!
Viel erwarten punktemäßig tu ich nicht aber gegen LEV und RB 6 Punkte wären schon geil. Gerade nach dem Hinspiel den Pillendrehern einen mitgeben wäre sensationell.
Zum DFB und Fritz Keller ist jedes Wort zuviel.
Zum DFB fand ich es spannend Ewald Lienen im Sechszehner-Podcast zu hören. Da war Eugen Gehlenborg zu Gast. Das lässt einen zwar auch den Kopf schütteln, aber zumindest ist die Art und Weise der Informationsgwinnung etwas launiger ;)