Blog State of the Union

Wann wird es mal wieder richtig Stadion?

Spieltag. Mal wieder. Diesmal sogar zur mittlerweile ungewohnten Zweitliga-Anstoßzeit. Vorfreude kommt bei mir aber schon seit einigen Wochen kaum noch auf, wenn ich an Union-Spiele im Fernsehen denke.

Ja, ich weiß, ich höre mich schon an wie ein Leierkasten, der immer über das gleiche klagt. Aber in letzter Zeit bin ich dann doch etwas Pandemie-müde geworden. Während mich die ersten Monate Corona verhältnismäßig wenig mitgenommen haben, ich den Verzicht auf so vieles eher als interessante und auch teilweise lehrreiche Erfahrung abgetan habe, hat sich mein Stimmungsgemüt gedreht. Ich bin genervt. Dafür gibt es viele Gründe. Einer davon ist natürlich, dass wir nicht ins Stadion können.

Ich finde es – ehrlich und frei von Ironie – wirklich bemerkenswert, wie viele Unionerinnen und Unioner sich immer noch auf jedes Spiel freuen oder darüber philosophieren was nun eigentlich das interne Saisonziel der Mannschaft von Urs Fischer ist. Versteht mich nicht falsch, auch ich erfreue mich weiterhin an Unions – ja ich weiß, ich wiederhole mich – sensationeller Saison auf dem Rasen, an einem Team was auch ohne uns Fans nahezu jedes Mal an seine Leistungsgrenze kommt und mehr läuft als der Gegner. Auch ich lese den Großteil aller Nachrichten um den Verein.

Volle Rängen beim letzten Aufeinandertreffen mit Hoffenheim an der Alten Försterei, Foto: Matze Koch

Jedoch habe ich eine gewisse Abgestumpftheit entwickelt. Die Freude über einen Sieg ist ebenso kleiner geworden, wie der Ärger über eine Niederlage. Zu dieser Entfremdung, die ich hier schon einmal beschrieben hatte, kommt auch eine gewisse Angst hinzu. Wie wird es sein, wenn wieder ZuschauerInnen zugelassen sind. Wenn die Alte Försterei wirklich wieder bis auf den letzten Platz ausverkauft ist? Hat sich dann so vieles verändert, dass es eine andere Art des Stadionerlebnisses ist? Haben wir uns womöglich kollektiv voneinander entfernt?

Ich hoffe und glaube es eigentlich nicht. Für mich wird es dennoch sehr interessant zu beobachten sein, wie ich mit meiner Bezugsgruppe im Block – manche werde ich dann womöglich über eineinhalb Jahre nicht gesehen haben – interagiere. Ob sofort wieder das typische Union-Gemeinschaftsgefühl da ist? Genau wie die Diskussionen über Schiedsrichter, die Welt und den modernen Fußball als notwendiges Übel. Ich frage mich auch wie dann gejubelt werden wird? Haben wir es nach über einem Jahr Pandemie möglicherweise verlernt uns richtig in den Armen zu liegen?

Ein Text aus dem ND (absolute Leseempfehlung!) gibt meinen teilweise vielleicht konfus wirkenden Gedanken eine viel bessere Struktur, als ich es gerade selbst tun könnte. Dabei verknüpft der Autor seine persönlichen Union-Erfahrungen mit den Problemen des Profifußballs und erklärt warum ein Stadionbesuch auch für den eigenen Horizont sehr wichtig sein kann:

Diese Liebe verbindet, nicht über alle Grenzen hinweg, aber sie ist doch so stark, dass sie vielen die Kraft gibt, die eigenen Komfortzonen zu verlassen, um anderen die Hand zu reichen. Wo sonst in unserer nach moralischen, emotionalen und sozialen Kategorien weitgehend eingehegten Gesellschaft wird man noch mit dieser Wucht an Lebensverdichtung konfrontiert?

Zudem bringt Ingo Petz die irrationale Arroganz vieler Entscheidungsträger im Business Profifußball, die mit einer bemerkenswerten Ignoranz Fanbelange übergehen, sehr gut auf den Punkt. Ohne Fans ist Fußball eben doch nur ein Spiel:

„Er erwirtschaftet Milliarden. Und das ist nur möglich, weil Fans darin mehr sehen als den Schuss aufs Tor. Unsere Emotionen sind die Motoren dieses irren Geschäfts. Man gibt einen Teil von sich. Und dafür soll man noch nicht mal erwarten können, dass die eigenen Erwartungen und Befürchtungen von Funktionären ernst genommen werden – und zwar auf Augenhöhe?“

Ich hoffe wir als Fans können diesen entscheidenden Punkt bald wieder im Stadion herausstellen. Fußball nur im Fernsehen funktioniert einfach nicht. Und auch wenn unsere Vereinsführung das ja zum Glück nie anders gesehen hat, haben das viele immer noch nicht verstanden und veröffentlichen groteske Werbeclips wie diesen, um dies zu überspielen:

Sebastian Polter spricht über das Ende seiner Union-Zeit und seine ersten Monate in Holland

Mit Voetbal International hat Sebastian Polter über seine Trennung von Union und seine ersten Monaten in der holländischen Eredevisie bei Fortuna Sittard (21 Spiele, acht Tore, drei Vorlagen) gesprochen. Dabei kritisiert Polter, dass er als Egoist und geldgierig hingestellt wurde, obwohl er ein sozialer, fürsorglicher Typ sei. Im Zusammenhang mit seiner Suspendierung aufgrund der Corona-bedingten Gehaltseinbußen erläutert Polter: „Ich dachte, dass es im Gegenzug gewisse vertragliche Anpassungen geben sollte. Es wurde eine Frage des Prinzips. Eine Gruppe von Teamkollegen hatte die gleiche Meinung wie ich, aber am Ende war ich auf mich allein gestellt.“

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10 Kommentare zu “Wann wird es mal wieder richtig Stadion?

  1. Den ND Artikel finde ich auch einfach absolut treffend, er sprach mir aus der Seele und ich las ihn mit Tränen in den Augen.

  2. Moin…mal ganz was anderes,
    Depeche Mode
    da gab es eine Phase, Frontmann Dave Gahan war den Drogen verfallen und dem Tode geweiht. Doch er fand zurück ins Leben und auf die Bühne… unvergesslich der Moment, die Party, die Emotionen – vielleicht die Erkenntnis über den Wert des Lebens bei Publikum und Künstler.
    Zu pathetisch? Ja, klar – the show must go on… WIr kommen zurück, vermutlich stärker als zuvor.
    u.n.v.e.u.

  3. Polter wiederholt sich.

  4. Aus einer anderen Sicht beschreibe ich mal meine Angst: Als kleiner Amateurverein in Hamburg sind wir vor neben den Mitgliedsbeiträgen auf die Einnahmen aus dem Spieltag angewiesen.
    Ein Spieltag ohne Zuschauer macht also noch weniger Sinn, auch wenn es für die Jungs auf dem Platz natürlich toll ist.

    In der Pandemie haben viele mitbekommen, dass es noch etwas anderes als Fußball gibt.
    Was wenn das nach der Pandemie so bleibt, wenn der Weg auf den Amateurplatz eben nicht mehr zum Wochenende dazu gehört, wenn viele festgestellt haben, dass es noch was anderes als Fußball gibt? Die Angst habe ich.

  5. Puh, ganz ehrlich: Ich fühle mich dem Profifußball und auch Union momentan extrem fremd. Ich freue mich darauf, wenn die Unionliga wieder startet. Ich freue mich auch darauf, wieder mit meinen Leuten im Stadion zu stehen und mit einem Bierchen in der Hand über Blödsinn zu philosophieren. Aber ob Union dann in der 1. oder 3. Liga oder im UEFA-Cup (jaja, heißt nicht mehr so) spielt, interessiert mich nicht mehr.
    Und bis es soweit ist, wird es weiterhin so laufen, dass meine Familienangehörigen (die mit Fußball weniger zu tun haben als ich), mich auf die Unionergebnisse ansprechen, ohne dass ich diese kenne. Und ich werde weiterhin mit den Schultern zucken, weil es mir egal geworden ist.
    Ja, ich gucke regelmäßig auf diese Seite, um nicht komplett den Anschluss zu verlieren. Aber ich scrolle dann immer bis zu dem Punkt, wenn es nicht mehr um Fußball und die Tabelle geht, sondern stattdessen um das „Drumherum“.

  6. Aike Poetschlag

    Ich wohne 300 Km von der Alten Försterei entfernt.
    Und weiß leider nicht wann ich das nächste Mal live im Stadion sein kann, da es sehr schwer ist für die 1.Liga eine Karte zu bekommen. In Liga 2 war dass immer relativ problemlos.
    Aber auch ich hoffe sehr, dass so bald wie möglich wieder Fans im Stadion sein können, dann schaue ich auch wieder mit ganz anderer Motivation die Spiele unserer Mannschaft.
    Ohne Zuschauer ist Fußball halt nur Sport und die Entfremdung ist bei mir leider auch so.
    Siege lösen nicht mehr so viel Freude aus und Niederlagen sind irgendwie auch nicht mehr so schlimm.
    Aber dass wird ja hoffentlich alles wieder besser.
    Solange heißt es halt eisern durchhalten!!!
    Grüße aus Ostthüringen

  7. Ich wohne 300m vom Stadion entfernt. Wie an jedem Heimspieltag zeigen viele hier Flagge, eben Unionland. Manche ganz wörtlich, andere mit Schal, Trikot oder Ähnlichem. Viele fahren einfach mal am Stadion vorbei. Ihr Revier markieren.

    Auch ich umrunde fast täglich das Stadion, bestaune noch immer die bemalten Wände an der Abseitsfalle, sehe das Kreuz von Kaffee-Kay und Matze Koch mit Kamera und Lastenrad. Ja, das Rad dreht sich weiter. Letzte Woche Plausch mit Urs Fischer am Zaun – natürlich mit Abstand. Ein unglaublich bodenständiger Mensch! Die Mannschaft vermisst uns auch und spürt trotzdem, dass wir alle da sind.

    Wer kann, dem empfehle ich SEIN Stadion zu besuchen. Es ist noch da, es sieht schön aus, es riecht noch so, es wartet auf uns! Und wir werden es nicht einfach warten lassen.

    Knoche, Schlotterbeck, Karius, Kruse, Pohjanpalo, Teuchert, Dajaku, Luthe, Griesbeck, Gießelmann, Awoniyi, Endo, Musa – allen habe ich noch kein „Fußballgott“ im vollen Stadion zuschreien können. Ich will das nachholen, ich will das mit euch nachholen. Aber ich will es auch erst nachholen, wenn es für alle sicher genug ist!

    Im festen Glauben daran, dass wir uns bald wieder im Stadion treffen, als wäre nichts geschehen.
    EISERN!

    • Sehr gut geschrieben Jan, super wie du und andere die Nähe halten!
      Das freut mich!
      Da geht es mir in der Ferne auch gleich besser, wenn ich das lese.

      Eisern durchhalten!
      Bis die Alte Försterei wieder laut sein darf!

  8. […] ob der Fußball seine Fans mit der Pandemie verliert. Etwas genauere Gedanken dazu gibt es beim Textilvergehen, denn auch bei Union gehört zum Gesamterlebnis „Heimspielbesuch“ natürlich mehr, als […]

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