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Union und sein umgedrehtes Mittelfeld

Oh, ye of little faith. Ich gebe zu, trotz genug Anschauungsmaterial in dieser Saison, das mich vom Gegenteil hätte überzeugen sollen, war ich skeptisch ob Unions Chancen im Spiel gegen Borussia Dortmund, als ich Unions Aufgebot dafür gesehen habe. Aber Union gewinnt nicht nur Spiele gegen Mannschaften wie Dortmund, es hat auch jedes Recht dazu. Schauen wir uns also noch mal etwas genauer an, wie es dazu kam.

Ja, in ziemlich genau derselben Formation hatte Union nicht einmal eine Woche vorher gegen Bayern ein Ergebnis verteidigt. Aber trotzdem, oder grade deswegen, habe ich nicht ganz daran geglaubt, dass das gleich nochmal gelingt. Stellt sich raus, doch.

Taktikanalyse Union Berlin Dortmund
Die Formationen und Aufstellungen von Union und Dortmund zu Beginn. Graphik: Textilvergehen

Cedric Teuchert und Sebastian Griesbeck überraschen mich

In Unions Kader fehlen zwar aktuell auf vielen Positionen Spieler, so richtig deutlich wird das beim Blick auf die Aufstellung aber eben im zentralen Mittelfeld. Seit Saisonbeginn haben wir darüber gesprochen, dass die Besetzung dieser zwei bis drei Positionen in der Startelf mit eigentlich nur vier dafür prädestinierten Spielern sehr dünn ist. Und als ich mir darüber Sorgen gemacht habe, bin ich eben nicht davon ausgegangen, dass eine Besetzung mit Grischa Prömel als Sechser und Sebastian Griesbeck und Cedric Teuchert als Achtern eine gangbare Option in der Bundesliga sein könnte. Denn die ist eben auf mehrere Weisen unorthodox.

Da ist natürlich zuerst das Personal als solches. Sebastian Griesbeck ist auf zentralen Mittelfeldpositionen zuhause, und wenn Oliver Ruhnert und Urs Fischer nicht davon ausgegangen wären, dass er dort in der Bundesliga spielen kann, hätte Union ihn sicher nicht verpflichtet. Wie er das aktuell macht, liegt denke ich aber am oberen Ende des Erwartungsspektrums.

Taktikanalyse Pässe Union Berlin Dortmund
Wie schon gegen Bayern sieht man auch gegen Dortmund, dass es Union gelingt, das Spiel des Gegners weitgehend im Aufbau zu ersticken. Graphik: Between the Posts.

Noch unerwarteter in dieser Position ist Cedric Teuchert, denn der ist eben eigentlich Mittelstürmer. Er hat aber absolut kompetent die Position im Mittelfeld bekleidet, ist viele Wege im Zustellen und Anlaufen von Gegenspielern gegangen, die auch frustrierend sein können, und hat auch gute Zweikämpfe geführt. Möglich ist diese Anpassung aber vielleicht auch deshalb, weil diese Mittelfeldrolle gar nicht so anders gestaltet ist als die eines Stürmers im Pressing gegen den Ball. Kurz, Teuchert ist der defensiv beste Stürmer seit Gaizka Toquero, der Athletic Club-Legende, der als Stürmer die Nummer 2 trug und auch wie eine Nummer 2 aussah und spielte. Nur dass bei Teuchert noch dazu kam, das Siegtor mit einer Ecke vorzubereiten.

Unions umgedrehtes Mittelfeld

Abgesehen von dem eingesetzten Personal bringt Union mit dieser Auf- und Einstellung im Mittelfeld aber auch das gängige Verständnis dieser Positionen durcheinander. Ich habe vorhin Grischa Prömel als Unions Sechser vorgestellt, und die anderen beiden als Achter. Dabei evoziert die Chiffre Sechser*in eigentlich vor allem folgendes: Defensive Mittelfeldspieler*innen, die zwar natürlich spielstark sein können und und eine Rolle im Spielaufbau haben, aber vor allem mit defensiven Aufgaben betraut sind. Die bestehen etwa darin, gefährliche Bälle des Gegners abzufangen, Zweikämpfe mit dessen Kreativakteuren zu führen und die Verbindung im und zum eigenen Abwehrverbund zu halten.

Taktikanalyse
Cedric Teuchert gegen Dortmund. Photo: Matze Koch.

Dagegen spielen auf der ‚Acht‘ klassischer Weise Spieler*innen, die ihre primären Stärken in Ballbehauptungen unter Druck haben, vielleicht das Offensivspiel mit Athletik verbinden können und im Ballbesitzspiel ihrer Mannschaft wichtige Verbindungspunkte sind.

Bei Union sind diese Rollenbeschreibungen aber ziemlich genau umgekehrt: Die defensive Arbeit machen vor allem die beiden weiter vorn postierten Achter, und Grischa Prömel ist, vor allem in Abwesenheit von Robert Andrich, das spielerische Herz des Teams. Das heißt natürlich nicht, dass in den Rollen nicht auch Aspekte des anderen vorkommen, aber Union und Urs Fischer haben hier aus der Personalnot eine taktische Tugend gemacht, die sehr für die Kreativität und Anpassungsfähigkeit des Trainerteams spricht.

Über das Mittelfeld und wie es gegen Dortmund funktioniert hat haben wir, mit Sonderlob für Griesbeck und Teuchert, auch gestern im Podcast zum Spiel gesprochen.

Weniger Einzelorientierung im Mittelfeld

Gegen Dortmund haben sich dabei Unions Mittelfeldspieler aber etwas weniger direkt an ihren unmittelbaren Gegenspielern orientiert als gegen Stuttgart (ein Spiel, zu dem es hier eine ausführliche Analyse gibt). Die Achter hatten zwar in Dortmunds Doppelsechs, die aus Emre Can und Axel Witsel bestand, ihre Gegenspieler. Aber sie postierten sich im Aufbauspiel von Dortmund weniger so, dass sie in Zweikämpfe mit ihnen gehen würden, wenn sie den Ball bekommen, und fokussierten sich mehr darauf, sie zuzustellen und daran zu hindern, Pässe zu empfangen. Aus dieser Position schoben sie dann auch auf die Innenverteidiger vor. In diesen Situationen machte die ganz Mannschaft gut mit, schob kollektiv heraus. Wenn es dann gelang, unpräzise oder falsche Pässe zu provozieren, kam Union zu vielen Ballgewinnen, weil es gelang, im Pressing in Ballnähe in Überzahl zu kommen.

Allerdings hat Dortmund trotz Unions erneut gut funktionierendem Defensivplan öfter Bälle in den Halbraum spielen können, als das noch Bayern gelungen ist. Erreicht hat das die Mannschaft von Neu-Trainer Edin Terzic auch dadurch, dass sich Jadon Sancho und Giovanni Reyna von ihren eigentlichen Positionen auf dem Flügel oft in die Mitte bewegt haben (wie auch auf ihrer Position in der Analyse-Graphik zu sehen ist). Allerdings kam das auch zu dem Preis, dass Dortmund damit die Breite im Angriffsspiel fehlte und es kaum 1-gegen-1 Duelle für Dortmunds Offensivspieler gab.

Erfolgreich waren diese Bewegungen vor allem, wenn Dortmund sie nutzte, um Räume zu öffnen: Die Bewegungen von Reyna und Sancho haben Trimmel und Lenz sie in Einzelorientierung verfolgt, mit richtigem Timing konnte so etwa Youssoufa Moukoko diese Räume nutzen und besetzen. Das Potential dieser erfolgreichen Situationen war aber auch limitiert: Sie resultierten in Ballbesitz auf den Außen in relativ ungefährlichen Räumen, wenngleich die Defensive dann leicht ungeordnet war. Union, also den Innenverteidigern, gelang es in diesen Momenten aber meist, Dortmunds Angreifer zum Abdrehen zu zwingen.

Dortmunds beste Chancen entstanden deshalb, wenn sie die offensiven Halbräume noch mehr überladen haben und Raphaël Guerreiro, der wahrscheinlich beste spielmachende Außenverteidiger der Welt, dort aufgetaucht ist. Er bereitete so nicht nur Moukokos Pfostentreffer vor der Halbzeit vor, sondern auch das Tor de BVB, das allerdings aus einer Umschaltsituation.

Union am Ball, olé, olé

An Unions Offensivkonzept änderte sich mit diesem Spiel wenig: Natürlich stehen nach zwei Toren durch Ecken die Standardsituationen im Vordergrund. Aber es gab eben auch viele Konter nach Ballgewinnen, die – wie Falko in seiner Analyse des Stuttgart-Spiels schon gezeigt hat – oft noch nicht sauber ausgespielt werden. Und Union hat sich auch in diesem Spiel wieder mit vielen Ballstafetten aus Drucksituationen befreit. Allerdings war dabei vor allem in der ersten Halbzeit in diesem Spiel die Fehlerquote höher als in den allermeisten Spielen in dieser Saison. Union hatte da auch etwas Glück, für manche Fehler nicht bestraft zu werden.

Presseschau

Die Berliner Medien sind teils noch mit dem Sieg von Union gegen Dortmund und seiner Einordnung befasst, teils mit dem Pokalspiel gegen Paderborn am Dienstagabend.

Und Steffen Baumgart ist heute viel früher aufgestanden als ich und hat schon um 8:30 Uhr seine Pressekonferenz vor dem Spiel morgen Abend abgehalten.

Sporti drei Plätze zu tief

Und sonst so

In der Enthüllung des Ergebnisses des Millernton-Vereinssong-Contest verbirgt sich heute Sporti hinter Türchen 21, belegt damit also in dem Songcontest Platz 4. Das ist zwar drei Plätze niedriger, als objektiv richtig wäre, angesichts der beiden Hamburger Songs mit Heimvorteil in dem Contest aber auch nicht ganz überraschend. Nur was Kaiserslautern auf den vorderen Plätzen macht, versteh ich nicht.

Jedenfalls ist es absolut ratsam, sich noch einmal durch die Türchensongs zu klicken und vor allem die ziemlich unterhaltsamen Kommentare von Thees Uhlmann dazu anzuhören.


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7 Kommentare zu “Union und sein umgedrehtes Mittelfeld

  1. Moin,
    jo, Griesbeck, Teuchert, Prömel, das funktionierte… auch, weil die Standards erfolgreich gespielt wurden. Ein wenig erinnert mich die Defensivarbeit an das Spiel des FC Bayern… nicht das umkehren 8er zu 6er, sondern, dass blockweise verschieben der gesamten Mannschaft. Die Abwehrarbeit beginnt schon in der Hälte des Gegners.
    Wenn wir nach vorne, aus dem Spiel heraus, wieder kräftiger werden, sollten auch noch Torchancen entstehen. Ich denke nicht, dass das System „Ecke-Tor“ auf Dauer trägt.
    Die Überraschung der Saison für mich S. Griesbeck.

  2. Analyse umgedreht

    Wen sich bei der Analyse eines Fussballspiels herausstellt, dass nur männliche Menschen gespielt haben, erübrigt sich das Gendern.

    • man sagt aber in der Analyse eines Spiels auch immer Dinge über jedes Fußballspielen

    • außerdem: who knows?

    • @analyse umgedreht

      Du hast das mit dem Gendern nicht ganz verstanden.
      Es geht nicht darum, ob jemand biologisch betrachtet männliche oder weibliche Geschlechtsteile hat, sondern das man nicht klar definieren kann, ob jemand Mann, Frau oder eben * (=> etwas individuelles) ist.
      Es gibt nämlich Menschen die zwar biologisch ein Penis tragen, aber innerlich komplett wie ein „Frau“ denken, andersrum genauso oder eben sich von den beiden klassischen Geschlechtern überhaupt nicht angesprochen fühlen.
      Ebenso gibt es Menschen die beide Geschlechtsteile tragen oder ohne zur Welt kommen, das mag zwar eine körperliche Behinderung sein, sagt aber auch nichts über deren „Geschlecht“ aus.
      Beim Gendern geht es gerade darum, sich nicht wie du, egal ob bewusst oder unbewusst, über andere zu stellen, sondern alle gleichermaßen zu respektieren und zu würdigen.
      Und ja, du hast dich über die anderen gestellt, da du davon ausgehst, dass die Union Mannschaft nur aus Männern besteht, biologisch vermutlich schon, doch was im Hirn bei jedem einzelnen passiert weißt du nicht.

      Und ja, auch ich bin selber vom Gendern und der politischen Korrektheit ab und an genervt, versuche aber mein bestes :P

  3. Musiclover

    Ich stelle mir gerade die Frage, ob die Kreativakteure
    nicht auch gegendert werden müssten? Die können doch auch nicht-männlich sein. ?

  4. Guten Morgen,
    das muss man erstmal hinbekommen. Einen Taktikbeitrag in Richtung Gendern drehen. Gibt es eigentlich Frauenfussball?
    1. F r a u e n, 2. F r a u e n, M ä d c h e n abteilung – ich lache mich schlapp! Seid ihr sicher, dass das alles Frauen/ Mädchen sind? Tretet mal einen Schritt zurück und betrachtet das mal mit etwas Abstand. Wir sollten ganz praktisch dafür sorgen, dass sich homosexuelle Fussballspielende raustrauen… was man hier liest, ist bequeme Revolution von der Couch.
    Eisern!

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