Blog State of the Union

Nur noch 19 Punkte!

Wenn es ein Bild gibt, das illustriert, was Union in dieser merkwürdigen Bundesliga-Hinrunde mit dem Gegner anstellt, dann hat es Dortmunds Verteidiger Mats Hummels gestern Abend nach dem Spiel geliefert. Auf dem Weg zum Interview schlägt er auf den Logofriedhof, der immer hinter den Spielern bei den Feld-Interviews zu sehen ist. Ich empfand Hummels Reaktion nachvollziehbar und war ehrlich gesagt ganz schön stolz, dass Urs Fischers Team die Ursache dafür war.

Denn Union hat es geschafft in die Köpfe der Gegner zu kriechen, sie verzweifeln zu lassen. Es tun sich wenig Räume auf und gleichzeitig schafft es das Team, eine solche Torgefahr zu entwickeln, dass man sich als Gegner nicht sicher sein kann, im Zweifel mit einem Unentschieden oder knappen Sieg aus der Partie gehen zu können.

Und wenn Mannschaften wie Dortmund oder Bayern diese Gewissheit nicht mehr haben, dann kann ich einfach nicht anders, als meinen vollsten Respekt für das Trainerteam und die Mannschaft von Urs Fischer auszudrücken. Und nicht anders interpretiere ich Mats Hummels kleinen Ausbruch. Und ich weiß, was er als letztes gehört hat, kurz bevor das Tor zum 2:1 fiel. Nämlich diesen Satz: „Mein Name ist Friedrich und ich köpfe hier ein.“

Was die Union-Mannschaft zusätzlich zeigt, und das ist vielleicht die krasseste Leistung, ist eine Geschlossenheit. Denn sie spielt zusammen, obwohl es unfassbar viele Verletzte im Team gibt. Ich glaube, dass wir alle uns schon die Sätze zurecht gelegt hatten, dass es ohne Max Kruse und Marcus Ingvartsen im Spielvortrag nach vorne etwas schwer werden würde (und seien wir ehrlich, die Spielzüge sind am Ende auch nicht mehr so konsequent zu Ende gespielt). Aber die Stärken wie Standards sind einfach nicht weg und die Spieler laufen und laufen und laufen.

Ich würde ihnen so gerne mal eine Pause gönnen. Aber ich habe mich auch gefreut für Marvin „Stuffi“ Friedrich, dass er jetzt einfach immer einnetzt. Danke noch einmal an Grischa Prömel, der vergangene Woche uns alle mit diesem Spitznamen des Verteidigers vertraut gemacht hat.

Marvin Friedrich und Grischa Prömel stilecht vorm Späti, Instagram @grischaproemel
Marvin Friedrich und Grischa Prömel stilecht vorm Späti, Foto via Instagram @grischaproemel

Ich möchte jedenfalls alle umarmen (ja, geht nicht, ich weiß). Nicht nur, weil das Team so gut da steht. Sondern weil es uns Freude macht. In einer Zeit, die beschissen und dunkel ist. In einer Zeit, in der wir uns alle auf gewisse Art Sorgen machen. In einer Zeit, in der wir vielleicht Angst haben um unsere Gesundheit und die unserer Lieben. In einer Zeit, in der wir eigentlich zusammenstehen müssten, um uns nicht alleingelassen zu fühlen. Genau da bringt diese Union-Mannschaft so viel Freude und Glück, dass ich es kaum fassen kann.

Und dann stehen nach der Partie sowohl Kapitän Christopher Trimmel als auch Trainer Urs Fischer bei Dazn am Mikrofon und die Kollegen wollten eigentlich nur ein paar Jubelsätze hören, als sie fragen, wie dieses Jahr für die beiden war. Aber unabhängig voneinander sagen beide, dass dieses Jahr nicht positiv genannt werden kann. „Da war in diesem Jahr viel Schlechtes dabei“, sagte Trimmel zur Überraschung des Dazn-Fragenstellers.

Für das reine Ergebnis des Teams war das Jahr natürlich positiv und das hat auch einen sehr großen Anteil daran, wie Union durch diese Zeit kommt. Aber insgesamt ist das ein Jahr zum Vergessen und ich empfand es als wohltuend, dass sowohl Trimmel als auch Fischer gezeigt haben, dass sie sehen, was ringsherum passiert.

Hier sind die Berichte der Berliner Medien zum Spiel:

Ein paar kleine Dinge noch: Ich finde es stark, dass Taiwo Awoniyi einfach nicht aufgibt, auch wenn sehr große Chancen anfangs mal nicht zu Toren werden. Dass er dann dem Dortmunder Torhüter durch die Beine köpft, war irgendwie witzig. Aber wir sehen, dass er immer wieder zu Chancen kommt. Das ist für mich das Wichtigste.

Union gewinnt wieder zu Hause gegen Dortmund, Foto: Matze Koch

Cedric Teuchert macht gute Spiele und es tut ihm gut, nicht wie zu Saisonbeginn als Sturmspitze agieren zu müssen. Es hat mich sehr gefreut, dass ein Standard von ihm zum zweiten Tor geführt hat.

Und noch eine Szene, die ich für immer im Gedächtnis behalten werde. Wie Mats Hummels nach dem Gegentor zum 2:1 im Strafraum stand und eine exakte Kopie des Confused-Travolta-Memes war, als er seine Mitspieler anschaute und sie zu fragen schien, warum denn niemand bei einem der kopfballstärksten Spieler von Union gewesen sei.

Und wie weiter? Ich bin ein absoluter Gegner solcher Kommentare wie in der Morgenpost (Bezahl-Link), die mehr als den Klassenerhalt fordern. Natürlich sagen wir komische Sachen in einem glücksbesoffenen Zustand direkt nach Abpfiff. Steffi und ich haben uns am Küchentisch die Tabelle angeschaut und sind in ein wahnsinniges Lachen ausgebrochen, das sonst nur Bond-Bösewichte nach dem Verraten ihres Welteroberungs-Plans bringen.

Es geht, und ich kann das nur wiederholen, vor allem um den Klassenerhalt. Der Satz muss lauten: Nur noch 19 Punkte!

Jubel nach dem Tor zum 2:1, Foto: Matze Koch

Denn der Klassenerhalt ist nicht nur wichtig, um in der Bundesliga zu bleiben. Er ist einfach auch dafür enorm wichtig, dass Union durch diese Krise kommt. Nie war die Aussage von Dirk Zingler, die erste Männer-Mannschaft sei die Basis für den Erfolg und die Entwicklung des Vereins, näher greifbar als jetzt. Okay, es fallen mir schon noch zwei, drei andere Momente ein, in denen das greifbar war, aber die liegen schon über 10 Jahre zurück.

Niemand möchte in einer Pandemie absteigen, in der viele andere Finanzierungssäulen wegbrechen. Und deswegen kann ich bei aller Glücksbesoffenheit ganz nüchtern sagen: Nur noch 19 Punkte. Es ist ein unfassbares Privileg, dass wir in dieser schweren Spielzeit ohne echte Pause, erleben dürfen, dass diese Verletzungsserie die Mannschaft nicht in einer Phase der Selbstzweifel und akuten Abstiegsangst trifft. 21 Punkte nach 13 Spielen. Das ist unfassbar. Dafür sage ich danke.


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17 Kommentare zu “Nur noch 19 Punkte!

  1. Musiclover

    Den Blick weit nach vorn: Union international!

    • Waschweib*r

      ich weiß nicht.
      gibt es da nicht einen Verein der anfang des jahres weit oben stand und dann nichts mehr in die reihe bekommen hat. freuen wir uns einfach dann wenn es erreicht wurde und beginnen nicht schon jetzt luftschlösser zu bauen

  2. Das mit den 40 Punkten zum Nicht-Abstieg ist doch nun schon lange überholt.
    Die Werte der letzten 5 Spielzeiten (Platz 15 + 16):
    2016 37/36
    2017 37/37
    2018 36/33
    2019 32/28
    2020 36/31
    Also realistisch: nur noch 11-16 Punkte (im Extremfall 7)

    • Jürgen Hornig

      Mag sein, dass unterm Strich weniger als 40 Punkte zum Klassenerhalt reichen. Aber ich finde es trotzdem richtig als Ziel die 40 Punkte im Fokus zu behalten. Wenn die erreicht sind können wir immer noch sehen, was dann noch geht.

  3. Eiserner Willi

    Noch „schöner“ war das Gesicht von Susi Zorc.

  4. “Zuvor hatte Moukoko mit einem Pfostenschuss kurz vor der Pause auch noch eine weitere Bestmarke aufgestellt: jüngster Spieler der Liga, der je den Pfosten traf.”

    Da geht einem wohl diese ewige Suche nach Rekorden etc. auf die Nerven.. Man sollte demnächst wirklich alle 15 Minuten einen Spieler für irgendwas auszeichnen. Die schönste Farbe der Schuhbänder, der unfallfreien Eingewechselte. ;-)

    Sehr amüsant, wenn auch eher aus Dortmunder Sicht geschrieben. Aber eben deshalb durchaus unterhaltsam.

    https://www.spiegel.de/sport/fussball/borussia-dortmund-unterliegt-union-berlin-als-ob-die-teenies-in-der-abwehr-stuenden-a-dedc3f44-5fdd-4139-a7f2-b75c7c17ec0f

    • @bunkinho Ich gehe mal davon aus, dass Peter Ahrens dass durchaus ironisch gemeint hat.

    • Es mutet schon reichlich bizarr an, wenn sich der Blödelbarde des Boulevard über (durchaus als witzige Ironie interpretierbare) Beiträge wirklicher Journalisten echauffiert.

    • Ich zitiere mal aus den Sozialen Medien: Moukoko schreibt Ligageschichte: Noch nie hat ein jüngerer Spieler gegen den 1. FC Union Berlin verloren.

      Eisern!

    • Tino Geßner

      Moukoko ist auch der jüngste Spieler in der Buli , der je gegen UNION verloren hat … ?

  5. Noch 19 Punkte. Alles gesagt. Danke Sebastian. Es ist unfassbar was die Jungs im Moment leisten. Ich hoffe sehr, dass es nicht vergessen wird, wenn es mal nicht läuft. Eisern Jan

  6. Es werden weit weniger als 40 Punkte reichen für den Klassenerhalt.
    Bei dem Schneckenrennen da unten um die 25 vielleicht nur.
    Rückschläge wird es geben, klar, aber die Momentaufnahne ist sagenhaft (schön).

    Achja. Danke für den Begriff „Logofriedhof“ statt Sponsorenwand. Hab sehr gelacht. :-)

  7. Mike Weber

    Eigentlich freue ich mich über jeden Sieg bzw unentschieden bei den sogenannten nobel Clubs ?????? Ich kann die Spiele leider selten sehen aber ich sehe ein Trend der zeigt das wir keine Lachnummer sind sondern ein Team was gewartet hat um einige zu ärgern und dadurch unsere punkte holen ?????? Persönlich verfolge ich alle Spiele seit 2007

  8. Danke für diese Worte.
    Und die Metapher des Lachens der Bondbösewichte, einfach großartig!

  9. Andreas Frank

    Ein sehr guter Artikel.
    Seid 1973 bin ich Unioner.
    Egal wo hin unser Weg auch führt.
    Wir sollten einfach nur genießen.
    UNVEU

  10. Für 40 Punkte, müsste Bielefeld einen 1.4 Punkteschnitt die restlichen 21 Spiele erreichen. Mainz sogar 1.6. Vermutlich werden sogar 30-35 Punkte reichen.

  11. @Peterle Echauffieren? Sorry, das habe ich nicht. Das geht anders. Ich habe doch ausdrücklich gesagt, dass ich den Artikel gut finde. Wie man da ein echauffieren rauslesen kann. Himmel hilf. Und danke für das herabwürdigende “wirkliche Journalisten”.

    @Daniel Und natürlich war das Ironie. Tut mir leid,, dass ich das nicht dazugeschrieben habe, dass ich das erkannt habe. Ich bin sehr froh darüber, dass manch anderer auch das Zerlegen in kleinste Rekorde als ermüdend empfindet.

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