Weil das Spiel von Union gegen Bayern am Samstag eine besondere Leistung war, will ich heute einmal State of the Union nutzen, um mir das Spiel taktisch noch einmal etwas genauer anzuschauen. Dabei ist diese Partie ein gutes Beispiel dafür, dass die entscheidenden taktischen Elemente in einem Spiel einerseits nicht besonders komplex sein müssen, und andererseits oft nicht so sehr in der Wahl einer Formation liegen, sondern in der Weise, wie sich die Spielenden in spezifischen Situationen verhalten (sollen).
Trotzdem können wir kurz darauf schauen, für welche Aufstellung und für welches System sich Urs Fischer entschieden hat, denn trotz aller Verletzungen blieben da doch noch ein paar mehr Entscheidungen, als eine Überschrift hier neulich suggeriert hat. Union spielte in einem 4141, und weil Christian Gentner noch nicht fit genug für viel Spielzeit war, musste eine der Achter-Positionen in diesem System von jemandem ausgefüllt werden, dessen Spezialposition das eigentlich nicht ist. Das war zuerst Marcus Ingvartsen, nach seiner Verletzung Cedric Teuchert.
Entscheidend dafür, dass Union gegen Bayern wirklich mithalten konnte und sich über 90 Minuten im Spiel hielt, war vor allem, wie die Viererreihe im Mittelfeld sich verhalten hat: sehr aggressiv nicht gegen ihre Gegenspieler, sondern gegen den Ball. Gleichzeitig waren aber gerade Griesbeck und Ingvartsen/Teuchert auch sehr diszipliniert darin, ihre Gegenspieler, Bayerns Achter Goretzka und Musiala, in ihrem Deckungsschatten zu halten. Aus dieser Position liefen sie immer wieder Bayerns Viererkette, vor allem die Innenverteidiger, an und übten Druck auf das Aufbauspiel von Bayern aus.
So gab es sehr viele Pässe zwischen Alaba, Boateng, Davies und Pavard, aber relativ wenige von ihnen zu den Achtern und fast gar keine, die es Musiala und Goretzka erlaubt hätten, aufzudrehen und weiter nach vorn zu spielen.
Wie elementar wichtig das war, sieht man vielleicht am besten an den wenigen Szenen, in denen dieses Muster nicht gegriffen hat, zum Beispiel der, an deren Ende die Schwalbe von Robert Lewandowski stand. Union war am Beginn dieses Bayern Angriffs einmal unsortiert aufgerückt, weil es einen der ebenfalls recht seltenen Ballverluste mit Umschaltmoment für Bayern gab. Im Zurückfallen fand Union in diesem Moment die Ordnung nicht, auch, weil Musiala in einer anderen als der gewohnten Zone, nämlich dem rechten Halbraum auftauchte. Als er und Thomas Müller dann einmal Zeit am Ball mit Blick nach vorn zu Unions Tor hatten, führte dass eben dazu, dass Lewandowski mit dem Ball ziemlich allein in den Strafraum kam.
Doch dass aus Bayerns vielen Angriffsversuchen letztlich nur recht wenige Chancen wurden (und Union sogar den höheren expected Goals Wert in dem Spiel hatte), lag nicht nur an der guten Struktur der Mannschaft. Denn in so einem Spiel gehört zur Umsetzung des eigenen Plans eben vor allem, dass in jedem Bayern-Angriff mindestens ein Unioner eine gute Aktion hat, mit der dieser Angriff unterbunden wird. Das kann ein gutes Anlaufen von Flügel Marius Bülter oder Stürmer Taiwo Awoniyi sein, das zu einem unpräzisen Ball von Jerome Boateng führt. Es war oft ein abfangen eines Passes durch einen der Achter oder Sechser Grischa Prömel. Und es war auch oft ein Herausrücken von Marvin Friedrich oder Robin Knoche auf versuchte Vertikalbälle von Bayern. Schließlich hatten insbesondere die Außenverteidiger Christopher Lenz und Trimmel eine sehr gute Quote in ihren eins-gegen-eins Duellen gegen die Weltklasse-Flügelstürmer von Bayern. Beide hatten Momente, in denen sie im Sprint zur Grundlinie Aktionen unterbinden musste, und das gelang. Wenn die Bayern-Außen den Ball statisch bekamen und nach hinten dribbelten, wurden sie öfters von den Union-Außenverteidigern verfolgt, die Mittelfeldspieler sicherten dann den Raum auf ihren eigentlichen Positionen ab.
Während das die gut funktionierende taktische Solidarität in der Mannschaft zeigt, ist der für mich entscheidende Punkt in dem Spiel dieser: Zu jeder der gerade beschriebenen Aktionen gehört Vertrauen in das eigene Timing und die Struktur der Mannschaft und das nötige Maß an Mut und Überzeugung, den Plan des Teams umzusetzen. Das hat Union, und deshalb ist die Mannschaft von Trainer Urs Fischer in dieser Saison so gut.
Genau das war auch nicht nur im Verteidigen zu sehen, sondern auch im Spiel mit dem Ball zu sehen. Ja, Union suchte nach Ballgewinnen in aller Regel schnell vertikale Bälle hinter die Abwehr von Bayern, weil das der wahrscheinlichste Weg zu Chancen war. Auch solche schnellen vertikalen Aktionen sind aber oft nicht ohne einen ballsichernden Moment möglich, in dem physische Durchsetzungskraft, Technik und Übersicht gefragt sind. Gerade Sheraldo Becker hatte davon einige und sorgte für die Anschlussaktionen, für deren häufiges Gelingen Urs Fischer die Mannschaft nach dem Spiel besonders lobte.
Und wenn es keine klare Option dafür zu finden gab, wurden Bälle nicht spekulativ oder absichtlich nach vorne abgeladen. Sondern Unions Spieler drehten dann oft ab, spielten hinten herum und verlängerten so die eigenen Ballbesitzphasen, was auch defensiven Wert hat. Im eigenen Aufbauspiel verhielten sich die Innenverteidiger und Grischa Prömel auch gegen Bayern ballfordernd, und Union traute sich auch in diesem Spiel Kurzpasskombinationen mit Andreas Luthe im eigenen Strafraum zu.
Am Ende stand eine Leistung, die sich auch taktisch mindestens einen Punkt verdient hat. Das konstatiert übrigens auch der Rasenfunk in der Schlusskonferenz mit Tobi Escher.
Dingdong! Schlusskonferenz 292 mit dem Host @TobiasEscher und den Gästen @tschwarz1204 und @ZerstreuungFuss ist online. Zu Favres Entlassung, dem Umgang mit Kopfverletzungen und mit Schwerpunkt auf der Mannschaft der Stunde: https://t.co/ednHhsLdHm#rasenfunk pic.twitter.com/3QgHO1M0P9
— Rasenfunk (@Rasenfunk) December 14, 2020
Weiter gehts
Bevor Union schon morgen das (taktisch auch spannende) Spiel gegen Stuttgart zu bestreiten hat, gibt es heute die Pressekonferenz.
Na dann mal rein in eine vollgepackte Woche… ?
? 15.12. @VfB (A)
? 18.12. @BVB (H)
? 22.12. @SCPaderborn07 (H)#fcunion pic.twitter.com/qQRcf4nS0m— 1. FC Union Berlin (@fcunion) December 14, 2020
Zuvor schauen aber auch die Berliner Medien auf das Bayern-Spiel zurück und sprechen mit Grischa Prömel:
- Unions Grischa Prömel widmet Premierentreffer dem Herrn Papa (Kurier)
- Union Berlin: Remis gegen Bayern war eine Auferstehung mit Ansage (Morgenpost)
- „Das Tor habe ich meinem Papa gewidmet“ (RBB)
- Grischa Prömel schickt eiserne Liebesgrüße nach Esslingen (Berliner Zeitung)
- Der 1. FC Union ist auch für Topteams eine echte Hürde (Tagesspiegel)
Und natürlich haben wir auch im Podcast über das Spiel gesprochen, aber auch über die mögliche Meta-Satzungsänderung.
Podcast: Wir freuen uns noch über das 1:1 gegen Bayern, schauen Richtung Stuttgart und diskutieren eine mögliche Satzungsänderung bei der virtuellen Mitgliederversammlung im Januar. #fcunion https://t.co/xQC6G1P74O
— Textilvergehen (@textilvergehen) December 14, 2020
Und sonst so
Beim Deutschlandfunk gibt es ein empfehlenswertes Sportgespräch mit Ronny Blaschke über Kolonialismus im Sport, auch im Fußball.
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Braucht es wirklich die politisch-überkorrekte Sprachschöpfung der „Spielenden“, wenn es hier auch die gängigen Spieler getan hätten? Oder habe ich was übersehen?
Mit Bezug auf das Spiel von Union wäre sicherlich auch „Spieler“ möglich. Der Satz ist meiner Meinung nach aber, auch aufgrund des Wortes „Spielende“, allgemeiner gefasst. Jede taktische Herangehensweise hängt letztlich davon ab, wie die Agierenden sie umsetzen.
Warum das Wort „Spielende“ eine politisch-überkorrekte Sprachschöpfung darstellen soll, anstatt einfach eine größere Gültigkeit zu verdeutlichen, erschließt sich mir nicht.
Braucht es eigentlich immer noch Leute, die sich ans gendern nicht gewöhnen und es überall bemängeln müssen?
Lustigerweise gibt es etliche Länder, wo gendern auch von Frauen ausdrücklich abgelehnt wird, die aber trotzdem in Sachen Gleichberechtigung viel weiter sind als D. Vermutlich ist gendern und die ganze Diskussion darum (und um politisch korrekte Sprache im allgemeinen) letztlich eine Ersatzdiskussion, die eigentlich als Stellvertreter/Stellvertreterin für viel tiefer liegende Probleme genutzt wird.
ganze Länder, beziehungsweise die Frauen dort (wo eigentlich), haben also uniforme Meinungen zum Gendern, die zufällig deine sind? und wedeln Leute, die sich hier beschweren, eigentlich auch mit dem auf der Seite mit „Männerrechte“ aufgeschlagenem Duden, wenn im Bahnhof von Reisenden die Rede ist?
Kurz, Pepe hat genau gesagt, was gemeint ist, und ich hab keine Ahnung, was es sich da zu beschweren gibt.
Ich habe weder von „ganzen Ländern“ geredet, noch davon, dass dort alle Frauen eine uniforme Meinung haben.
Schönes Beispiel, wie überdreht die Diskussion abläuft. Man kann gar nicht so schnell gucken, wie einem das Wort im Mund herumgedreht wird.
Wo? Z.B. in einem Land, dass bereits rund 30 Jahre vor Angela Merkel eine weibliche Regierungschefin hatte. Die übrigens ausdrücklich nicht Regierungschefin genannt werden wollte.
Sorry, vertippt. 20, nicht 30 Jahre vor Angela.
Ich musste kurz grübeln, was denn die Spiel-Enden in diesem Satz zu suchen haben, bis ich auf das Synonym zu Spieler kam. Etwas verwirrend das Ganze.
Das Gendern fördert in diesem Zusammenhang die Lesekompetenz – schließlich muss ich aus dem Kontext schließen, ob „Spielende“ (auch schon „Mietende“ gelesen) oder das „Spiel-Ende“ gemeint ist (Ironie AUS). So sinnvoll und wünschenswert das Gendern in vielen Bereichen ist, wäre natürlich das tatsächliche Ende entsprechender Diskriminierung erheblich schöner. Nicht, dass die Diskussion, wie @Maria Draghi anmerkt, zum Feigenblatt verkommt.
Eigentlich will ich hier fußballbezogene Beiträge lesen.
Dito
gendern is mega, aber vorsicht: ein spieler auf der bank ist kein spielender, wie auch ein zuschauender nicht unbedingt ein zuschauer sein muss und ein trainierender, ihr ahnt es, ist kein trainer, na ja, manchmal schon, und selten ist er sogar beides. es ist wie mit dem radfahren – hat man es mal kapiert, fällt man trotzdem um.
EISERN