Blog State of the Union

Die Union-Theaterstücke passen in der Coronakrise noch mehr als sonst

Als ich gestern auf der Sportschau-Seite vorbei schaute, um mir das Tor des Jahres von Marcel Hartel anzuschauen, hörte ich den Kommentator beim Treffer sagen: „Ja hat denn der die Pfanne heiß!“ Ich weiß gar nicht mehr, ab wann die Reise unseres Teams „Pfanne heiß“ in der Aufstiegssaison richtig los ging. Aber das Tor wäre ein großartiger Start gewesen. Ihr könnt es bei der Sportschau zum „Tor des Jahrzehnts“ wählen. Kann schon sein, dass Mario Götzes Treffer im WM-Finale 2014 wegen der Bedeutung des Tores gewählt wird, oder der Fallrückzieher aus gefühlt 40 Metern von Zlatan Ibrahimovic. Aber keins dieser 10 Tore löst so viel bei mir aus wie das Tor von Marcel Hartel gegen den 1. FC Köln.

MArcel Hartel Tor des Jahres Köln
Marcel Hartel bei seinem Fallrückzieher zum 1:0 für den 1. FC Union gegen Köln, das zum Tor des Jahres 2019 gewählt wurde, Foto: Michael Hundt/Matze Koch

Ich werde auch nie vergessen, wie Urs Fischer danach mit verschränkten Armen im Bild zu sehen war und sich wegdrehte mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck zu einer anderen Person im Innenraum, der so viel sagte wie: „Den hat er nicht gemacht oder? Der Cello hat nicht wirklich gerade einen Fallrückzieher in der ersten Minute des Topspiels gegen seinen Heimatverein gemacht?“

Irgendwie passt diese unglaubliche Situation, dass unser 1. FC Union Berlin plötzlich zur Wahl des Tor des Jahrzehnts steht (ja, ich weiß, dass die Sportschau die Auszeichnung wieder ausgegraben hat, weil ihnen Sportereignisse in der Coronakrise fehlen), ganz gut zu dem sportlich sehr erfolgreichen Jahrzehnt, das Union erlebt hat.

Die Union-Theaterstücke passen gerade perfekt

Wie außergewöhnlich das ist, zeigt ein Blick zurück, zu dem mich AFTV gestern veranlasst hat. Denn irgendwann gestern habe ich gemerkt, dass Union zwar das Theaterstück auf AFTV zeigt, aber gar nicht das erste, sondern das zweite. Aber kann man das zweite Stück verstehen, wenn man das erste nicht gesehen hat? Da wir noch eine DVD von der Aufführung 2006 im Schrank hatten (war im Buch zum Stück, von dem damals 1966 Stück verkauft wurden), schauten wir uns das in der richtigen Reihenfolge an. Der Jungunioner, der damals noch nicht auf der Welt war, war mit dabei, und wir mussten ihm ständig erklären, was da jeweils in der Uniongeschichte passiert ist, warum Schnittblumen ein Ding waren, und was im September 2001 passiert ist.

Das erste Union-Theaterstück von Jörg Steinberg „Das Stück zum Spiel“, im Bild: v. l. Frank Auerbach, Alexander Hörbe, Dirk Schoedon und Chris Loppata, Foto: Matze Koch

Irgendwann Richtung Ende gibt es eine Szene, in der es darum geht, dass Union sowieso nie Bundesliga spielen wird. Ja, das war für uns 2006 weiter weg als die Vorstellung Donald Trump könnte mal US-Präsident werden. Da kam der trotzige Ausspruch: „Vielleicht will ich das gar nicht. Erste Liga. Wir werden, wie sich das gehört: Aufsteigen, absteigen, aufsteigen, absteigen. Und weißt du auch warum? Weil es genau das ist, was unsere Fanseele ausmacht. Und darüber hinaus halten wir das auch noch aus. Das kann so jemand wie du nicht verstehen, der es sich wie … der VfB Stuttgart auf Platz sieben in der Tabelle … bequem gemacht hat ein Leben lang. Oh Gott, wie langweilig. Eure Lebensentwürfe sind dieselben: Mittelmaß und Langeweile!“

Das hat mich wieder gepackt. Das hat sofort gemacht, dass ich schnell nach Köpenick zu den anderen Bekloppten will. Das hat mich angezündet. Und wie wahr ist das bis heute? Ich bin der Überzeugung, dass Jörg Steinberg mit diesem Theaterstück genau den Union-Nerv getroffen hat. Und es ist vollkommen egal, ob sie das damals in der Vierten Liga geprobt haben oder ob es zur Aufführung kommt, wenn Union in der Bundesliga spielt. Es passt bis heute. Und ich hoffe, dass es für immer passen wird. Denn irgendwie wäre es vielleicht nicht mehr unser Verein, wenn das nur noch so Folklore ist wie anderswo das Steigerlied ohne Bergarbeiter.

Das zweite Union-Theaterstück „Wir werden ewig leben“ von Regisseur Jörg Steinberg in der Freiheit 15, im Bild: v. l. die Schauspieler Chris Lopatta, Alexander Hörbe, Frank Auerbach, 05.12. 2016, Foto: Matze Koch

Das zweite Union-Theaterstück, das es heute noch bei AFTV zu sehen gibt, ist eine Übertreibung und gleichzeitig fühlt es sich irgendwie gar nicht so weit weg an. Wenn die 50+1-Regel angesichts der Corona-Krise mal wieder sturmreif geschossen werden soll. Wenn Spiele ohne Fans den Fußball retten sollen (RBB). Wenn Fans in Stadien simuliert werden sollen (sei es durch Pappfiguren oder irgendeine App). Da möchte ich mich einfach umdrehen und sagen: Lasst den Scheiß doch einfach!

Aber Fußball ist eben beides. Es ist wie die beiden Union-Theaterstücke. Ein wohlig warmes Gefühl mit Höhen und vielen Tiefen und vor allem Freunden, und ein komplett durchkapitalisiertes, kaltes System, in dem Fans nur eine dösbaddelige Staffage sein sollen, die im Zweifel wie die Lemminge sowieso allem folgt, so lange nur das Vereinslogo draufklebt.

All das schwirrte durch meinen Kopf, und dann scrolle ich durch Instagram und sehe dieses Foto. Es ist schön. Denn es zeigt den Einlass ins Stadion an der Försterei. Und traurig. Denn es sind keine Menschen drauf.

Und für die Theaterstücke gilt wie für Fußball: Ohne Zuschauer ist es nichts. Diese vielen Reaktionen aus dem Publikum machen den Charme jeder Aufführung aus. Hoffentlich darf das im Dezember wieder gespielt werden.

Und sonst so?

Der Podcast von „Wir – Union vereint“ zum Frauen- und Mädchenfußball ist online. Darin sprechen Julia Wigger (Leiterin der Abteilung), Falko Grothe (Trainer der ersten Mannschaft) und Elisa Schindler (Spielerin) über die Arbeit, die dort gemacht wird. Man hört man da schon sehr deutlich heraus, wie die Bedingungen einfach komplett anders sind als bei den Männern. Ob das den Alltag der Spielerinnen betrifft oder die Finanzierung von Stellen. Und gleichzeitig ist da auch so viel Begeisterung und Leidenschaft dabei. Ich freue mich schon darauf, wenn es weitere Episoden aus dem Frauenfußball bei Union gibt.

Foto: 1. FC Union Berlin Frauen
Foto: 1. FC Union Berlin Frauen

Ganz viel Liebe für die Person, die Thomas Hitzlsperger diesen Sticker quasi vor die Haustür geklebt hat.

Zum Schluss

Die Zeilen von Karl Mickel aus „Elf von Schweine-Öde“ haben mir gestern Abend so viel Freude gemacht, dass ich damit heute enden möchte:

Wohin mit BFC?

In Gully.

Was sollnse dort?

Stinken.

Wie lange?

Ewig.

Wohin mit Union?

In Himmel.

Was sollnse dort?

Leuchten.

Wie lange?

Ewig.


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2 Kommentare zu “Die Union-Theaterstücke passen in der Coronakrise noch mehr als sonst

  1. Andreas

    Naja, ziemlich durchsichtig wenn die Bayern, obwohl selbst nicht betroffen schon mal die Diskussion auf 50+1 lenken wollen. Könnte ja sonst womöglich in Richtung ungerechte Verteilung der Fernsehgelder gehen, und das will man der eigenen Brieftasche wohl eher nicht zumuten.

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