Der 1. FC Union hat gestern gegen den Tabellenführer der Bundesliga nicht nur gewonnen (wie gegen jede Mannschaft von den Champions-League-Plätzen, die ins Stadion an der Alten Försterei gekommen ist). Sondern Union hat auch so gespielt, dass das kein Zufall war, sondern leistungsgerecht – ein paar glückliche Fügungen unbenommenen. Die Taktik-Analyse darüber, warum das so war.
Urs Fischer blieb im Vergleich zum Spiel in Mainz bei der 3-5-2-Formation. Weil Gladbach unter Trainer Marco Rose und Co-Trainer Rene Maric in einem klaren, ziemlich klassischen 4-3-3 spielte, ergaben sich daraus wieder einmal ziemlich viele Eins-gegen-eins-Zuordnungen. Wie diese ausgingen oder umgangen wurden, sollte entscheidend für die Dynamik des Spiels sein.
1-gegen-1 gewonnen
Denn dass Union in diesen Eins-gegen-eins-Duellen Gladbach in den allermeisten Situationen daran hindern konnte, offene Räume zu finden und mit Geschwindigkeit in sie hinein zu spielen, war der hauptsächliche Grund dafür, dass der Tabellenführer letztlich nur zwei Schüsse aufs Tor und weniger gute Chancen als Union hatte.
Wichtig war hier zuerst, dass die beiden Stürmer und Marcus Ingvartsen als dritte Spitze im Pressing den Aufbau von Gladbach gut unter Druck gesetzt hat. Dieses Aufbauspiel gestaltete Gladbach gern mit einer Raute am eigenen Strafraum, bestehend entweder aus Torwart Yann Sommer, den Innenverteidigern und dem zurückfallenden Christoph Kramer, oder aus der Viererkette mit vertikal gestaffelten Innenverteidigern. Obwohl das stabil genug funktionierte, nicht anfällig für Ballverluste zu sein, gelang es Union eben, wenig Verbindungen von der ersten Phase des Aufbaus ins Mittelfeld zuzulassen.
Das wichtigste einzelne Duell war das zwischen Christopher Lenz und Stefan Lainer. Letzterer ist oft eine wichtige treibende Kraft in Gladbachs Spiel. Die Freiheiten, die Unions Flügelverteidiger im aktuellen System haben – den Raum hinter ihnen sichert die Dreierkette ziemlich verlässlich ab – konnte Lenz nutzen, um hoch auf Lainer heraus zu schieben, ihn weit hinten zu stellen und nicht ins Spiel kommen zu lassen.
Aber natürlich hat eine Verteidigungsweise, die so sehr auf Eins-gegen-eins-Duelle ausgerichtet ist, auch Risiken. Die bestehen immer entweder darin, dass man wichtige Duelle verliert, oder dass dem Gegner etwas einfällt, um die Zuordnung zu stören. In diesem Spiel geschah letzteres vor allem, wenn sich die Außenstürmer der Elf vom Niederrhein weit außen postiert haben. So weit auf den Flügel konnten ihnen die Halbverteidiger aus Unions Dreierkette nicht folgen, sondern mussten sie dann doch an die Flügelverteidiger übergeben. Die waren dann aber eben in einer Unterzahlsituation gegen die Außenverteidiger und -stürmer Gladbachs. Gefährlich wurde es dann für Union in einigen Momenten (vor allem in den besagten ersten zehn Minuten), in denen Marvin Friedrich versuchte, Christopher Trimmel in dieser Unterzahl zu helfen, damit aber zu spät kam und nur seine eigene Position öffnete.
Und dass es keine großen Fehler brauchte (gebraucht hätte), um Gladbach zu Chancen kommen zu lassen, zeigte die Chance von Alassane Pléa in der 38. Minute: Union versuchte sich spielerisch zu behaupten und stand weit aufgerückt, spielte dabei aber in eine Pressingfalle (oder wenigstens eine sehr gut pressbare Situation) hinein. So entstand ein Moment, in dem Gladbach seine Offensivqualitäten zeigen konnte. Das unterstreicht aber eben nur, wie wenig solche Gelegenheiten Union nach den ersten zehn Minuten angeboten hat.
Trotzdem war Union aber auch auf eine gute Restverteidigung und etwas Glück in den ersten zehn Minuten ohne Zugriff angewiesen, um aus Gladbachs Aktionen in den gefährlichen Zonen nicht mehr gute Abschlüsse oder Tore zu kassieren.
Nicht alle langen Bälle sind gleich
Wenn davon die Rede ist, dass eine Mannschaft mit langen Bällen spielt, wird selten genauer darauf eingegangen, wie und wohin diese langen Bälle gespielt werden und so getan, als sei das eben alles der gleiche primitive Fußball.
Diese Union-Mannschaft liefert einige gute Beispiele dafür, dass das unterkomplexer Unsinn ist. Ohnehin, weil viele lange Bälle gut vorbereitet, also mit Zeit und Übersicht spezifisch auf Sebastian Andersson gespielt werden – also in einer Weise, die sehr viel höhere Erfolgsaussichten hat als ein normaler Feld-, Wald- und Wiesen-Befreiungssschlag. Aber gegen Gladbach konnte man in einigen Situationen auch andere Varianten davon beobachten: Zum Beispiel nach drei Minuten, als Andersson sich etwas auf den linken Flügel fallen ließ, so Platz für Marcus Ingvartsen frei zog, der einen schönen Flugball von Trimmel gut annehmen konnte und so einen Angriff einleitete, der insbesondere über die folgende Ecke durchaus gefährlich wurde.
Außerdem ist es aber eben auch nicht so, dass Unions Offensivplan nur aus langen Bällen bestünde. Und zwar schon deshalb nicht, weil die langen Bälle vor allem auf Sebastian Andersson, der mit weitem, weitem Abstand die meisten Kopfballduelle der Liga gewinnt, nicht nur ein offensives Mittel sind. Sie geben Union vor allem auch ein verlässliches Mittel, irgendetwas mit dem Ball anzufangen, statt ihn zu verlieren, und stabilisieren das Spiel so auch defensiv. Außerdem kann die Mannschaft bei den langen Bällen relativ geschlossen relativ weit aufrücken, weil ziemlich wahrscheinlich ist, dass es nach den langen Bällen nicht schnell zu Ballbesitz für den Gegner kommt. So halten die langen Bälle tatsächlich Druck vom eigenen Tor weg und geben auch Chancen für Gegenpressing-Aktionen, zum Beispiel nach Ablagen, die nicht ankommen.
Szene des Spiels
Während ich an diesem Nachmittag im Stadion das Spiel sehr unanalytisch miterlebt habe, und alles, was hier bisher steht, im Nachhinein beobachtet habe, ist diese Szene die, die mir aus dem direkten Anschauen hängen geblieben ist: Wie Christopher Lenz nach 49 Minuten mit der Hacke Sebastian Andersson einen freien Schuss aufgelegt hat.
Wie großartig ist bitte Christopher Lenz?! pic.twitter.com/PwpPKdGaVZ
— rudelbildung (@rudelbildung) November 23, 2019
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Vielen Dank…. Für deine Erklärungen und das aufdrösseln der taktischen Möglichkeiten und des Spiels… Macht immer Freude es zu lesen!Eisern????
Schöne Lektüre als schöner Abschluss eines schönen Wochenendes. :) Danke, Daniel!
Wüsste nicht, dass wir gegen Leipzig gewonnen haben.
das war am ersten spieltag, da hatten die noch keine tabellenposition;)
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Schöne Überschrift
@bunkinho danke!
[…] In dem Interview erklärt Trimmel einerseits ganz konkret im Detail, inwiefern es für ihn anstrengender ist, in der ersten als in der zweiten Liga zu spielen. Und wie stark Unions Fokus darauf liegt, immer Druck auf den Ball zu bekommen. Das Spiel in Leverkusen sei da das Gegenbeispiel, als Union viel zu passiv gespielt und sehr klar verloren habe. Das gegen Gladbach dagegen eins, in dem das sehr gut funktioniert hat. […]
[…] Stürmer zu spielen, um im Pressing besser an den Gegner anpassen zu können – auch wenn das Spiel mit zwei Stürmern gegen Gladbach gut […]
[…] in dieser Saison. Vor allem der Defensivplan hat da unglaublich gut funktioniert, wie ich in der Analyse damals zu analysieren versucht habe (mit einem besonderen Lob für Christopher Lenz, der heute […]