Blog State of the Union

Lieber eine Rivalität zwischen Hertha und Union als jemals wieder eine Mauer in Berlin

Als ich gestern hier im Blog den „State of the Union“ gelesen habe, traf das distanzierte Schreiben über das Derby überhaupt nicht mein Empfinden. Denn auch wenn durch die vielen Spiele zuvor und ein gewisses Schweigen über den Einbruch in einen Container der Ultras von Union es nun nicht zu einer langen spannungsvollen Erwartung der Partie kam, so war ich doch gestern bereits angezündet. Als mir ein Kollege bei der Arbeit erzählte, dass er auch zum Spiel gehen würde und dieses Shirt tragen würde, dass es vor eineinhalb Jahren im Abstiegskampf gab, zog ich nur meinen Sweater hoch und zeigte ihm die von „Gib niemals auf und glaub an dich“ umrahmte Faust.

"Gib niemals auf und glaub an dich", das T-Shirt aus dem Abstiegskampf 2018
„Gib niemals auf und glaub an dich“, das T-Shirt aus dem Abstiegskampf 2018, Foto: Sebastian Fiebrig

Ich freue mich sehr auf das Spiel. Ich freue mich, dass die Rivalität sportlich ausgetragen wird. Ich freue mich, dass Union mittlerweile wirklich als Konkurrent wahrgenommen wird. Ich freue mich für alle, für die dieses Spiel lange eine unwirkliche Spinnerei war. Sei es durch den Systemgegensatz oder später durch wirtschaftliche Verhältnisse verursacht. Dieses Spiel ist jetzt normal. Das freut mich am meisten.

Andere mögen sich in Gewaltfantasien ergeben wie sie gestern einer Hertha-Gruppe beim Abschlusstraining von Hertha BSC suggerierte, auf dem stand: „Jagt sie über den Platz, wie wir sie durch den Wald!“ Doch ich werde mich daran nicht beteiligen. Mein Verhältnis zu Hertha ist einfach keins. Weder positiv noch negativ. Und ich werde mir nicht von einem Clinch zwischen kleinen Gruppen meine Derby-Vorfreude nehmen lassen.

Was aus meiner Sicht niemanden gut zu Gesicht steht: sich klein machen. Ich möchte und werde mich nicht über einen Gegensatz zu einem anderen Verein definieren. Ich bin Unioner, weil ich mich für Union entschieden habe. Nicht, weil ich mich gegen Hertha entschieden habe. Ich werde nicht dieses erste Bundesliga-Derby nutzen, um dem anderen Verein eine Bühne zu bieten. Ich werde heute schreien, singen und hoffentlich auch jubeln. Alles nur für Union. Ich will, dass wir alle dieses Spiel genießen, die Atmosphäre, für die wir selbst verantwortlich sind. Laut. Wild. Und voller Liebe für Union. Genau so wie dieser junge Mann während der Live-Schalte aus dem Stadion an der Alten Försterei, als Union im ersten Relegationsspiel gegen Stuttgart spielte:

Das schreiben die Berliner Medien

Ich muss heute etwas kapitulieren vor den Sonderausgaben und extra Seiten über dieses Derby, auch in den überregionalen Medien (Süddeutsche). Da geht es um die Cousins Javairo Dilrosun und Sheraldo Becker (BZ, Morgenpost), um den Union-Kapitän Christopher Trimmel (Kurier), in dessen Kiez Hertha-Plakate nicht lange hängen, die Trainer Urs Fischer (Morgenpost, Kurier) und Ante Covic (Morgenpost). Von letzterem gibt es heute im Stadionheft ein schönes Foto:

Ante Covic im Union-Dress beim Probetraining
Ante Covic im Union-Dress beim Probetraining, Screenshot: Stadionheft des 1. FC Union Berlin

Dazu gibt es die drölfzigsten Aufgüsse der gerade in diesem Jahr besonders populären Geschichte „Aus Freundschaft zu Mauerzeiten wurde Rivalität/Feindschaft“ (Tagesspiegel, Magazin „Ein Land“). Man kann dazu antworten wie Präsident Dirk Zingler im Interview mit der Welt: „Man war nicht Freund von anderen Ost-BerlinerKlubs, man war Freund von Hertha. Was störte, war die Mauer. Als die weg war, bröckelte die Liebe zur unbekannten Ge-liebten. Es war wie bei einer Brieffreundschaft. Man hat sich erstmals gesehen und gemerkt, dass es dann doch nicht die große Liebe ist.“ Meine Antwort auf dieses Thema ist: Lieber die Rivalität als jemals wieder eine Mauer durch diese Stadt.

Ich könnte mich jetzt zum Schluss noch über diesen Kommentar aus dem Tagesspiegel aufregen, der von einer verpassten Chance beim Derby spricht. Wahrscheinlich weil Hertha-Präsident Werner Gegenbauer und Union-Präsident Dirk Zingler nicht Hand in Hand am 9. November zum Derby einlaufen, während im Hintergrund die Gropiuslerchen trällern „Berlin, Berlin, dein Herz kennt keine Mauern“. Diese politische Überhöhung dieses Fußball-Derbys ist das besondere hier. Das kenne ich nirgendwo in Deutschland so, dass gleichzeitig mit einem Fußballspiel, bei dem es immer um „wir“ gegen „die“ geht, noch nichts geringeres als die Einheit des gesamten Landes vermessen werden soll.

Kathrin Schulze schrieb im Tagesspiegel-Kommentar noch: „Unions Präsident Dirk Zingler hat vor der Saison sogar in bester DDR-Manier den ‚Klassenkampf‘ ausgerufen.“ Ich möchte dagegen rufen: Wer so etwas schreibt, hat das Glück gehabt, nie in der DDR leben zu müssen.

Ich habe für das Thema „Dirk Zingler ruft den Klassenkampf aus“ aber immer einen Text auf Taste, den ich dem Tagesspiegel gerne auch in Schönschrift zukommen lassen kann:

Weil diese Feinheit immer mal verloren geht, möchte ich kurz berichtigen: Dirk Zingler sprach nicht vom Klassenkampf, sondern vom Fußball-Klassenkampf und zwar im Bezug auf ein mögliches Derby am 9. November in einem Interview mit der Berliner Zeitung. Die genauen Worte waren: „Ehrlich gesagt, verstehe ich den Wunsch nicht. Für mich ist das ein Derby, das steht für Rivalität, für Abgrenzung. Und für Fußball-Klassenkampf in der Stadt. Diesem Spiel eine Art Freundschaftsspielcharakter zu geben, nach dem Motto: Wir spielen jetzt hier einen auf deutsche Einheit, das finde ich absurd. Ich weiß nicht, wie man auf so was kommt.“

Und das habe ich nach dem Zingler-Interview beim Textilvergehen dazu geschrieben: „Ich halte “Fußball-Klassenkampf” auch für ein Quatsch-Wort, aber nicht, weil ich mir wie die Bild sofort in die Hosen mache, wenn das Wort Klassenkampf fällt. Es ist einfach falsch, weil Union und Hertha nicht aus unterschiedlichen Klassen stammen. Sie sind sogar in derselben. Sie spielen im Profifußball mit, und vor allem spielen beide Klubs nach den Spielregeln des Profifußballs. Union hatte herkunftsbedingt dabei ungünstigere Startbedingungen. Aber das war es auch schon. Die Bezeichnung Klassenkampf ist einfach Unsinn. Aber was soll man sich daran eigentlich so lange abarbeiten, wenn wir doch alle wissen, was Zingler wirklich meinte: Es geht im Derby um “Wir gegen die”. Es geht um ein Gegeneinander. Und das war es auch schon.“

Die Morgenpost hat noch eine schöne Infografik zum Spiel:

Auf gehts Union, kämpfen und siegen!


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11 Kommentare zu “Lieber eine Rivalität zwischen Hertha und Union als jemals wieder eine Mauer in Berlin

  1. Lars Seefeld

    Ich glaube, das Banner kam nicht von den HB. Ganz rechts ist das h für die Hools zu sehen. Mal davon abgesehen, dass das „Wir“ aus BSC, BFC und FCM steht.
    Wenn man sonst nichts hat..
    Auf ein geiles und friedliches Derby!

  2. Bei Frau Schulze muss man wissen, dass sie langjähriger Hertha- und Eisbärenfan ist und die dort stark vorhandene Ablehnung des 1.FC Union durchaus goutiert, wenn nicht sogar teilt.

  3. super Unioner

    Aaaah, das erklärt eigentlich Alles! Danke, Bunki!

  4. Es ist grundsätzlich nicht akzeptabel, wenn sich Journalisten in ihrer Tätigkeit als Fans dieses oder jenes Vereins outen – ob nun vom „Kurier“, vom „Tagesspiegel“, vom rbb oder jedem anderen Medium.
    Beruf verfehlt. Das sind keine Journalisten, sondern lediglich „so genannte“, die es auf die andere Seite der Bande geschafft haben. Gibt’s leider zu viele Beispiele…
    Manchmal werden Journalisten aber fälschlicherweise als PRO oder CONTRA zum eigenen Verein abgestempelt, weil sie nicht die jeweilige Fanperspektive 1:1 abbilden – was allerdings auch nicht ihre Aufgabe ist.

  5. Tatsache geht einem dieses ganze Ost-West-Polit Gequatsche im Zusammenhang mit dem Derby mittlerweile gewaltig auf den Senkel. Kann mich an die alten Ost-West Zeiten erinnern, wo der Westen berechtigter Weise den Osten dafür kritisiert hat das dort alles, insbesondere auch der Sport politisiert wurde. Leider hat sich 30-40 Jahre später daran nichts geändert.
    Was so die Fan-Freundschaft zwischen Union und Hertha betrifft, wird die glaube ich heute auch etwas überhöht dargestellt. Klar gab es damals viele Hertha Fans bei Union und oft waren auch Herthaner zu Besuch in der Försterei, aber nur weil nahezu das ganze Stadion „Wind und Meer“ gesungen hat, waren nun nicht alle Hertha-Sympathisanten, sondern vielmehr hatte so jeder seinen Sympathie-Verein in der Bundesliga, und das waren damals eben auch die zu der Zeit erfolgreichen also Gladbach, Bayern, Werder und auch der HSV.

  6. silberhacke

    super geschrieben und auf den punkt gebracht. danke, sebastian!

    EISERN

  7. Super-Unioner

    Das war es also, das Berliner Derby. Sportlich wird man das bald der Vergessenheit anheim fallen, aber über den ganzen Rest muss noch geredet werden, vor allem über den mehrfachen Raketenbeschuss seitens der Herthaanhänger in Richtung Heimtribünen (vor allem den benachbarten Familienblock) und Innenraum. Neben den primären Fragen
    – Hätte man das nicht unterbinden können?
    – Warum schreiten die (von Hertha gestellten) Ordner da nicht ein?
    – Und -last but not least- Wie -in drei Teufels Namen- kommt man auf die völlig beknackte Idee andere Menschen so zu gefährden?
    muss aber auch der Umgang von Hertha BSC mit seinen Fans und diesen Vorfällen kritisch beleuchtet werden.

    Ich bin davon ausgegangen, dass Hertha BSC sich klar gegen dieses Verhalten stellt und das als das benennt, was es ist: eine gefährliche, kriminelle Handlung.

    Stattdessen hat man in Charlottenburg einen anderen Weg gewählt:
    – In ihrem Spielbericht handeln sie das mit „wegen Pyrotechnik war die Begegnung fast unmittelbar nach Wiederanpfiff für wenige Minuten unterbrochen“ ab.

    – Auf der Pressekonferenz erklärt Ante ?ovi? „beide Seiten hätten sich nicht gut benommen“

    – im Sportstudio-Interview antwortete Manager Michael Preetz, „man müsse ja mal beide Seiten“ sehen.

    Lieber sportlicher Konkurrent,
    habt Ihr sie noch alle an der Waffel? Es ist das eine, gefährliche Irre unter den eigenen Fans zu haben, aber dieses Thema einfach totzuschweigen und nicht anzugehen, ist keine Lösung! So ein Verhalten wie heute ist nicht tolerierbar- auch nicht im vermeintichen Derby-Übermut! Macht was!

  8. super, @super unioner!
    eisernen dank!

    es lässt sich mutmaßen, welchem teil der herthaszene dieses asoziale gesindel angehört:
    dieser widerlichen biffzen-bördebratzen-bertha-geschwulst, von der sich jeder halbwegs aufrechte herthaner beschmutzt und angeekelt fühlen müsste.

    die reaktion der covic und preez auf die attentate dieser kriminellen bande waren skandalös!

  9. A) Ich finde sehr gut, wie Ruhnert reagiert und dazwischen gegangen ist, um noch einmal klarzustellen, dass man deutlich zwischen Pyro im Block und Pyro auf dem Spielfeld und in andere Blöcke schießen unterscheiden muss.
    B) BBC hat eine kurze Doku über Union gedreht: https://www.youtube.com/watch?v=OSzuLyqLIfI
    C) Dass „unsere“ (es gibt Mutmaßungen über Dresdner Ultras/Hools) in unseren Reihen, die bewusst geladen wurden, um den Platz zu stürmen. Der Platzsturm war dann eine Mischung aus beiden Ostvereinen. Schade, insbesondere das Angehen der Spieler, die für Ruhe sorgen wollen.
    D) Ich bin kein großer Fan von Stadionverboten, aber in den Fällen, in denen andere BEWUSST gefährdet und sogar verletzt werden, finde ich sie angemessen. Nicht für Zaunfahnen, die angebracht werden. Deeskalation war evtl. die richtige Strategie der Polizei, wobei ich hier einen Einsatz gerechtfertigt gefunden hätte. Irgendwo hieß es, dass wohl sogar jemand eine Rakete mit anschließender Verletzung abbekommen hätte.

  10. sprachliche Korrektur (hab das alkoholfreie Bier nicht vertragen, haha): C) Dass „unsere“ Vermummten den Platz stürmen wollten, finde ich fragwürdig. Vor allem wenn ich dann sehe, wie manche das mit dem Begriff „Ehre“ verteidigen. Ehrenvoll sind solche Kämpfe nun gar nicht. Gewaltfreie Lösungen sind da vorzuziehen.

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