Blog State of the Union

Gibt es an Rafal Gikiewicz etwas zu kritisieren?

Uns hat in den letzten Tagen ein Leser die Frage gestellt, ob man an Rafal Gikiewicz nicht trotz seiner zugegeben starken Reflexe und der Großartigkeit seines furchteinflößenden Blickes kritisieren müsste, wie gut er sich am Aufbauspiel Unions beteiligt. „Wird er angelaufen (und selbst, wenn nicht) landen auffallend viele Bälle weit im Seitenaus. Ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass den Torwart anzulaufen und zu pressen das bislang beste Mittel gegen Union war und der Mannschaft in den letzten Spielen die größten Probleme bereitet hat – und das Rafal da die Schwachstelle darstellt. Wie seht ihr das?“

Rafal Gikiewicz
Rafal Gikiewicz spielt eine starke Saison, selbst wenn er kein überragender mitspielender Torwart ist.

Versuchen wir diese Frage mal qualitativ (also mit einem analytischen Blick auf Spielsituationen) und quantitativ (also mit Blick auf die Statistiken) zu beantworten. Schaut man sich Gikiewiczs Passwerte an, fällt zuerst auf, dass er der einzige Stammtorhüter der Liga ist, für den die Statistikseite Whoscored auf Grundlage der Opta-Daten keinen nicht-angekommenen kurzen Pass führt. Das hat natürlich viel mit dem Risiko zu tun, dass die verschiedenen Mannschaften dabei eingehen, wie man daran erkennt, dass Kenneth Kronholm mit einem solchen Fehlpass alle zwei Spiele diese Statistik ‚anführt‘.

Whoscored Statistiken
Statistiken zum Passspiel der Torhüter in der Liga von Whoscored

In dieser Statistik wird auch klar, dass es einige Mannschaften gibt, deren Torhüter mehr kurze als lange Pässe spielen (HSV, Kiel, Paderborn). Rafal Gikiewicz und Union liegen hier eher in der Kategorie derer, bei denen kurze Pässe deutlich seltener sind als lang geschlagene (11,8 von Rafals insgesamt 34,2 Pässen sind kurze Zuspiele), aber schon noch regelmäßig vorkommen.

Und schließlich sehen wir, dass die Quote bei den langen Bällen um (aber meistens: unter) 50% schwankt. Interessant ist noch, dass der extrem spielerisch orientierte Kronholm bei den langen Bällen die beste Quote aufweist, was daran liegen könnte, dass viele von diesen Versuchen weniger vage gezielt und besser vorbereitet sind als die seiner Kollegen. Entgegen der Anklage in der zitierten Frage steht Gikiewicz hier aber nicht besonders schlecht da.

Unverschämter Weise wird Gikiewicz übrigens sein Assist aus der Hinserie in diesen Daten nicht gut geschrieben.

Rafal am Ball
Rafal Gikiewicz kann kurze Pässe spielen, macht das aber fast nur, wenn das so gut wie kein Risiko darstellt Photo: Stefanie Fiebrig

Der statistische Eindruck ist also: Union|Gikiewicz spielt moderat häufig kurze Pässe, die dann aber auch immer ankommen, und ist mit seinen langen Bällen durchschnittlich erfolgreich. Und dieser Eindruck bestätigt sich auch, wenn man sich Szene für Szene ansieht, wie Rafal Gikiewicz ins Spiel einbezogen wird und wie er sich dann verhält. Kurze Pässe gibt es immer, wenn ein Innenverteidiger frei steht und klar ist, dass er das tut. So gut wie nie kommt es dagegen vor, dass Gikiewicz den Ball bekommt, ansatzweise unter Druck gesetzt wird und dann den Ball mehr als einmal berührt, um einen kurzen Pass spielen zu können. Wäre das nötig, um die Seite zu wechseln und das Spiel mit einem kurzen Pass zu verlagern, gibt es also quasi immer einen langen Ball.

Daran lässt sich die Risikoabwägung, die Union vornimmt, ganz anschaulich zeigen. Allerdings ist genau dieser Aspekt des Torwartspiels einer derjenigen im Fußball, an denen die Vorgaben von Trainerinnen und das Vermögen von Spielerinnen am schwierigsten auseinanderzuhalten sind.

Union nach Heidenheim

Nachdem die Ergebnisse der Konkurrenz die Niederlage in Heidenheim einigermaßen weich abgefedert haben…

… liegt Union nun in der Tabelle auf einer eigenen Stufe zwischen den Führenden und den Verfolgern.

Und mit dieser Metapher passt das ja auch ganz gut zur Einstellung des #teampfanneheiß.

A propos Podcast: Den haben wir zu Heidenheim gestern Abend aufgenommen, und weil wir dazu auch Sven Klebba zu Gast haben, ging es länger um eine rot-weiße Farbenlehre (:music: „und niemals rot wie Wein :music:)

Netter Weise hat Steffi dazu dieses tldl (zu lang, nicht gehört) geschrieben:

Die Berliner Medien schreiben an diesem Sonntag über Union das hier:

Außerdem treffen sich bei Union jetzt gerade Fanclubs und Verein.

Und sonst so

Ein veritables Problem, dass für Außenstehende sehr plötzlich sichtbar wurde, hat der FC St. Pauli wohl in seiner Fanszene. Darüber wird seit den Pyroeinlagen und vor allem dem Verbrennen von gegnerischen Fanutensilien im Block sowohl innerhalb von St. Paulis Umfeld als auch in anderen Medien diskutiert. Lesenswerte Texte dazu gibt es beim Millernton und zweimal vom Blog MagischerFC, sowie bei der Zeit und bei 11Freunde.


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5 Kommentare zu “Gibt es an Rafal Gikiewicz etwas zu kritisieren?

  1. @ Daniel: Wenn Du „Vorgaben von Trainerinnen und das Vermögen von Spielerinnen“ genderst, müsste es dann nicht konsequenterweise im gleichen Satz auch „Torwärterinnenspiel“ heißen?

  2. Das gleiche habe ich mir auch gedacht, wenn dann sollte man diesen Quatsch auch konsequent durchziehen…Torhüterinnen klingt besser, aber ist wahrscheinlich zu mütterlich und damit diskriminierend. Und ja, ich bin heute mit dem falschen Bein aufgestanden!

  3. Paulemaule

    Hey Daniel,
    danke für die Antwort auf meine/unsere Frage. Ich hab mir jetzt die Daten auch noch mal detaillierter angeschaut und habe ehrlich gesagt eine etwas andere Lesart bzw. sehe in dem, was du moderat/durchschnittlich einschätzt, dann doch eher eine Schwäche:

    1) Rafal ist auf Platz 10 von 14 (ich berücksichtige nur TW mit mind. 15 Einsätzen) was die durchschnittliche Anzahl an Pässen pro Spiel angeht. Ich würde daraus ableiten, dass er grundsätzlich eher wenig ins Aufbauspiel eingebunden wird.

    2) Wie du ja schon meintest, spielt Rafal kurze Pässe deutlich seltener als lange. Du nennst 11,8 Kurzpässe von 34,2 Pässen insgesamt „regelmäßig“ – ich würde sagen er haut 2/3 all seiner Ballbesitze nach vorne und von denen kommt halt nicht mal jeder zweite an.

    Außerdem frage ich mich, wie das Verhältnis der angekommenen langen Bälle aussehe, wenn wir Abschläge und lange Bälle aus dem Spiel heraus trennen könnten. Aber soweit ich das überblicke, gibts dafür keine Daten, oder?

    • Das sind valide Punkte.
      zu 1) Dabei muss man beachten, dass Union insgesamt alles andere als eine Ballbesitzmannschaft ist. Die Mannschaft liegt da an Platz 12 nach Ballbesitzanteilen, sogar nur Platz 15 nach angekommenen Kurzpässen und nach dem Anteil der Fehlpässe. Das ist also wenn es überhaupt ein Problem ist weniger ein Gikiewicz Problem als ein Mannschaftsproblem. Ich mache diese Einschränkung, weil das Spiel ja auch mit dieser Eigenschaft nicht ganz schlecht funktioniert. Aber aus dem Kontext folgt eben, dass Gikiewiczs Platzierung da vielleicht nicht so viel mit ihm selbst zu tun, weil sie in dieses Bild passt.

      zu 2) Für den Anteil der Kurzpässe gilt das gleiche wie für die Zahl der Pässe überhaupt: Gikiewicz liegt da im Vergleich mit den anderen Stammtorhütern auf Platz 9, also nicht schlechter, als man es von Unions Torwart erwarten kann. Natürlich sind Hamburg und Kiel (65 und 56%) da eine andere Kategorie, aus verschiedenen Gründen. Dresden, Fürth und interessanter Weise Bochum (ca 20%) aber auch. Und Rafals Quote bei den langen Bällen ist eben knapp über dem Liga Durchschnitt (46,6:44,2 – netter Zufall das Letzte übrigens).

      Zu der letzten Anmerkung: leider lassen sich Abstöße nicht trennen, weil nur Freistöße eigens geführt werden. Aber anekdotisch würde ich sagen dass die Quoten und Anteile bei Rafals Abstößen nicht sehr anders als bei den [edit] übrigen Situationen sind.

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