Mein Kopf fühlte sich so leer an wie die Schachtel Zigaretten, die vor mir auf dem Schreibtisch lag. Es war lange her, dass ich das letzte Mal an meinem Schreibtisch eingeschlafen war. Draußen fuhr die Müllabfuhr gerade die kümmerlichen Überreste Zivilisation davon, als ich durch die Sonnenstrahlen geweckt wurde, die gerade so durch die schon viel zu lange nicht mehr geputzten Scheiben meines Büros drangen.
Ich wusch mein Gesicht im Waschbecken in der Ecke und zog das Hemd an, das ich für den Fall im Büro bereit gelegt hatte, dass ich mal zu einem Empfang eingeladen wurde. Nicht dass das je passieren würde, aber in diesem Moment war ich froh, diese Hoffnung irgendwann mal gehabt zu haben.
Als ich den letzten Knopf geschlossen hatte und mich einigermaßen erfrischt fühlte, fiel mein Blick auf den braunen Umschlag an der Tür. Kein Absender, keine Anschrift – meine Gedanken begannen zu kreisen. Es war lange her, seit ich anonyme Post bekommen hatte und auch dann immer nur Drohbriefe von Ehemännern, die verhindern wollten, dass ich „diese“ Fotos ihren Ehefrauen zeigte.
Langsam öffnete ich die nicht zugeklebte Lasche und zog ein einzelnes Blatt Papier heraus. Darauf waren eine Internetadresse und zwei einzelne Buchstaben: „N“ und „Y“. Die anonymen Hinweise waren auch nicht mehr das, was sie mal waren. Vielleicht sollte ich mal für ein paar Monate in die Botschaft von Ecuador ziehen.
Während ich darüber nachdachte, was mein anonymer Freund mir sagen wollte, meldete sich mein Magen, den ich nun schon zwei Tage recht einseitig versorgt hatte. Ich steckte mir die letzte der billigen Zigaretten vom Vortag an und machte mich auf den Weg ans Ende des Blocks.
Johns Laden hatte nicht das größte Sortiment, dafür ließ er mich anschreiben wenn das Geld gerade mal wieder knapp war. John hieß eigentlich Ehmet, bestand aber darauf, dass seine Freunde ihn John nannten und aus mir unerfindlichen Gründen zählte er mich dazu. Ich kaufte eine Flasche Bourbon, Zigaretten und ließ mir gerade ein Sandwich einpacken, als mein Blick in die Ecke von Johns Laden fiel, die ich bis heute immer ignoriert hatte.
Für ein wenig Kleingeld verkaufte John hier Zugang zum Internet an einem Computer, der aussah als wäre er älter als das Haus, in dem mein Büro und Johns Laden sich befanden. Ich war mir sicher, dass die Tastatur mehr Krankheitserreger in sich trug, als die meisten der Patienten im Krankenhaus die Straße runter. Die anonyme Post im Hinterkopf, kaufte ich 15 Minuten Internet von John, der mich mit einer Mischung aus Sorge und Überraschung ansah und wahrscheinlich kurz daran zweifelte, ob er mir die Flasche Bourbon heute wirklich verkaufen sollte. Ich murmelte eine kurze Erklärung und setzte mich vor den Monitor.
Bevor ich die Internetadresse aufrief, die ich in dem Umschlag gefunden hatte, warf ich noch einen kurzen Blick auf die aktuellen Nachrichten.
Die klaren Worte des Präsidenten von gestern hallten auch heute noch nach. Ich sollte eine mögliche Verbindung ins Baugewerbe eventuell doch noch nicht völlig ausschließen.
Eine etwas seltsame Kombination fand ich in der Beschreibung des Angriffs und der Torwarte – beide beschrieben dasselbe „Problem“ aber nur ein Text stellte den richtigen Zusammenhang zwischen Inhalt und Überschrift her. Gut zu wissen, dass ich nicht der Einzige bin, der im Dienst gerne mal einen trinkt.
Der Erfolg vom Wochenende war natürlich immer noch Thema – einen direkten Zusammenhang zu meinem Fall konnte ich hier jedoch nicht erkennen. Direkt von der Quelle gab es aber gute Nachrichten, die mich dann wenigstens zufrieden zurück ließen.
Ich hatte mehr und mehr das Gefühl, dass mir entscheidende Puzzlestücke fehlten. Mein Bauch sagte mir, dass alles zusammenhing, aber ich konnte die Verbindungen nicht sehen.
In der Hoffnung auf Klarheit rief ich mit meinen letzten mir verbleibenden Minuten die Internetadresse auf, die ich gefunden hatte. Ich sah ein Bild vor mir. Auf einer Seite namens Instagram, von der ich noch nie gehört hatte.
Bevor die Zeitschalt-Uhr auf Johns Computer ablief, konnte ich das Bild ausdrucken. Wieder einmal ließ mich ein Hinweis mit mehr Fragen zurück als er beantwortet hatte, aber zumindest konnte ich mir nun einen Reim auf die zwei Buchstaben machen, die ebenfalls auf dem Zettel standen.
Die Spur führte nach New York.
… Fortsetzung folgt.
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Ich hoffe fast, dass Seb möglichst lange im Big apple bleibt. Diss Textilvergehen noir ist höchst unterhaltsam.
…bunki hat (leider) Recht: einfach mal DANKE gesagt!