Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur territorialen Vergabe von TV-Rechten für Sportereignisse ist nicht so einfach wie es scheint. SpiegelOnline jubelte „Fußball schauen wird billiger„. Auch ich habe im Überschwang getwittert: „Europäischer Binnenmarkt jetzt auch im TV„. Aber stimmt das überhaupt?
Die Vorgeschichte: „Der Fußball fürchtet Murphys Gesetz“ (Zeit Online)
Das Urteil: Das Gericht urteilte nicht im konkreten Fall der Pub-Besitzerin Karen Murphy, sondern beantwortete Fragen des englischen High Court, da die englischen Richter eine grundsätzliche Vereinbarkeit mit dem EU-Recht geklärt wissen wollten. Nach der Klärung dieser Fragen durch den EuGH wird der englische High Court konkrete Urteile sprechen. Ob Karen Murphy danach noch lächelt, werden wir sehen.
Eine Pressemitteilung des EuGH fasst das Urteil zusammen (PDF). Es gibt auch das gesamte Urteil auf Deutsch zum Nachlesen.
Es wurde grundlegend geurteilt:
- dass die Beschränkung des Verkaufs von Decodern und entsprechenden Karten eine verbotene Beschränkung des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs darstellt
- dass Sportereignisse nicht dem Urheberrecht nach EU-Verständnis unterliegen, da sie für künstlerische Freiheit keinen Raum lassen
Konsequenzen
Das klingt unglaublich gut. Aber je mehr ich darüber nachgedacht habe, desto mehr Zweifel kamen mir. Auch bei
allesaussersport.de herrscht Ratlosigkeit. Dass dieses Urteil eine ähnliche Sprengkraft hat wie das
Bosman-Urteil, glaube ich jedenfalls nicht.
Decoder: Es ist jetzt endgültig klar, dass Decoder und Karten unter den freien Warenverkehr fallen. Das wird in dem Urteil mehrfach sehr deutlich. Es gibt allerdings andere Möglichkeiten der Ausstrahlung von Sendungen (
IP-TV,
Spot-Beam, Kabel), die das Verbreitungsgebiet von Sendern wieder eingrenzen und so separate Märkte schaffen können. Das ist dann lediglich eine Frage der Veränderung der Lizenzverträge. Das Gericht geht jedenfalls nur auf den konkreten Fall der Satellitenausstrahlung und der Decodierung des Signals wie im Fall Murphy ein.
Urheberrecht: Das Gericht stellt zwar fest, dass Sportereignisse nicht durch Europarecht urheberrechtlich geschützt sind. Doch es zeigt auch einen Weg, wie die Verbände über den Umweg der jeweiligen Mitgliedstaaten doch zu einer Art Urheberrechtschutz kommen können.
Einem Mitgliedstaat steht es daher frei, Sportereignisse – gegebenenfalls unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des geistigen Eigentums – zu schützen, indem er eine spezielle nationale Regelung einführt oder unter Beachtung des Unionsrechts einen Schutz anerkennt
Das bedeutet, dass es durch Lobbying der jeweiligen Verbände (in Deutschland wären das vor allem der Ligaverband DFL und der Fußballverband DFB) zu politischen Entscheidungen kommen kann, die bestimmte Sportereignisse schützen. Klar, das muss im Einklang mit dem EU-Recht sein und sollte nicht zu einer Marktabschottung führen.
Das Urheberrecht kommt jenseits der reinen Sportübertragung auch europarechtlich ins Spiel.
Die Urheber können sich auf das Urheberrecht stützen, das an den im Rahmen dieser Sendungen verwerteten Werken besteht. In den Ausgangsverfahren ist unstreitig, dass FAPL das Urheberrecht an diversen Werken geltend machen kann, die in diesen Rundfunksendungen enthalten sind, nämlich u. a. an der Auftaktvideosequenz, an der Hymne der „Premier League“, an den zuvor aufgezeichneten Filmen über die Höhepunkte aktueller Begegnungen der „Premier League“ und an verschiedenen Grafiken.
Hier ging es zwar konkret darum, dass die Wirtin Karen Murphy gegen das Urheberrecht verstößt, weil sie öffentlich Werke der Premier League (Logo, Hymne und den anderen Popanz) aufführt. Aber das Gedankenspiel ist nicht abwegig, dass vielleicht eine komplett gestrickte Sendung, in die die Übertragung eines Spiels eingebettet ist, komplett als Werk an Sender verkauft wird.
Zumal viele Ligen die Bilder und mehr schon längst selbst produzieren.
Weg von der Juristerei zur Glaskugel: Was wird passieren?
Ich beschränke meine Überlegungen auf Deutschland. Da glaube ich nicht, dass schnell etwas passieren wird. Weder stürmen jetzt Massen die Internetcafés, um sich dort bulgarische oder griechische Decoderkarten zu besorgen, die Zwischenhändler auf der Reise eingekauft haben. Noch glaube ich, dass Sky bzw. die Telekom mit LigaTotal in einen ernsthaften Wettbewerb getrieben werden.
Denn Freizügigkeit für Waren ist das eine. Die Freizügigkeit für Personen ist das andere. Nur ein knappes Prozent der Einwohner nimmt das Recht wahr, an einem beliebigen Ort in der EU zu leben und zu arbeiten. Weil zum Beispiel Sprache ein sehr großes Hemmnis ist. Deswegen ist für Sky nur der deutschsprachige Raum kritisch und vielleicht vergibt die DFL die nächsten Rechte ab 2013 für den gesamten deutschsprachigen Raum an SkyDeutschland. Ich kann mir jedenfalls wenig Leute vorstellen, die freiwillig Geld für slowenischen oder portugiesischen Kommentar des Spiels Ingolstadt gegen Union ausgeben.
Ein zweiter Punkt ist der, dass die DFL bei der aktuellen Rechtevergabe dieses Jahr von Sky 240 Millionen Euro, von ARD, ZDF und Sport1 zusammen172 Millionen und aus dem Ausland 50 Millionen erhält. Zieht man die 25 Millionen aus dem Nicht-EU-Ausland ab, die von dem Urteil nicht betroffen sind, bleiben lediglich 25 Millionen Euro übrig. Nur 25 Millionen, die nötig wären, um Sky und Konsorten Exklusivität zuzusichern. Eine Summe, von der ich glaube, dass sie so gering ist, dass Sky und DFL deshalb keinen Streit vom Zaun brechen werden, der beiden die Existenzgrundlage raubt. Die wechselseitige Abhängigkeit ist viel zu groß. Im Zweifelsfall könnte die DFL an Sky einfach die EU-weiten Rechte verkaufen. Wäre vielleicht angesichts der bisher rechtlich nicht möglichen Versorgung Mallorcas und anderer Urlaubsziele mit deutschem Live-Fußball von Sky gar nicht so unattraktiv.
Die größere Bedrohung für die Finanzierung des Bundesligafußballs ist weiterhin die Solvenz von Sky und nicht das Urteil des EuGH. Denn auch das Gespenst des eigenen
Liga-Senders, das immer mal auftaucht, spielt nach Informationen aus DFL-Kreisen keine Rolle. In ihrer
Pressemitteilung schreibt die DFL schwammig:
Die DFL hat sich gemeinsam mit ihrer Vertriebstochter DFL Sports Enterprises in den vergangenen Monaten intensiv mit der Thematik befasst und Vorkehrungen getroffen, um Auswirkungen sowohl auf die nationalen als auch die internationalen Medienrechte soweit wie möglich einzuschränken.
Da ist natürlich interessant zu erfahren, was dahinter steckt. Damit sollen Anpassungen der Rechteverträge gemeint sein. Die können wie oben angedeutet die Vorschriften der Ausstrahlung betreffen, aber auch die Sprache der Kommentatoren regeln. Konkrete Auswirkungen auf den Zuschauer sollen nicht spürbar sein. Über die nächste Rechtevergabe möchte aber auch bei der DFL niemand spekulieren.
Mein Eindruck ist letzten Endes, dass sich zunächst für den Zuschauer gar nichts ändern wird. Auch für die Bundesliga sehe ich nicht schwarz. Aber das Urteil wird wohl der Auftakt eines langen und zähen Ringens zwischen Quasi-Monopolisten und den Befürwortern des EU-Binnenmarktes sein. Die tatsächliche Herausforderung ist aber die Nutzung mobiler Geräte, die auch der Sprecher von Sky, Wolfram Winter, in der Süddeutschen Zeitung angesprochen hat. Denn bisher ist es im Ausland nicht einmal möglich, sich für das Vereinsfernsehen der Bundesliga-Klubs zu registrieren ohne seine IP-Adresse zu manipulieren. Von Sehen ist da gar nicht die Rede. Und die Spiele sind noch nicht einmal live. Über die grenzüberschreitende Nutzung von SkyGo auf dem iPad schweige ich mich an dieser Stelle lieber komplett aus.
Update: Dem Deutschlandfunk ging es in der Bewertung ähnlich.
Entdecke mehr von Textilvergehen
Subscribe to get the latest posts sent to your email.
0 Kommentare zu “Sportverwertung in der EU”