Für eine WM im eigenen Land wird alles gemacht. Der DFB beendet zum Beispiel die Bundesliga Mitte März, damit sich die Nationalmannschaft drei Monate auf die Weltmeisterschaft vorbereiten kann. Deshalb spielt Turbine Potsdam schon am 12. März vor der für den Frauenfußball bemerkenswerten Kulisse von 7.000 Zuschauern das letzte Spiel gegen Essen-Schönebeck. Nur ein Sieg hilft, um den Vorsprung von einem Punkt auf Frankfurt durch das Ziel zu retten.
Da die Potsdamer bereits nach fünf Minuten durch Viola Odebrecht (3.) und Anja Mittag (4.) 2:0 führen, geht es weniger darum, ein spannendes Spiel zu sehen. Ganz im Gegenteil, das Spiel ist sogar schlecht. Eine unerwartete sportliche Kuriosität bringt Essens Michelle Weissenhofer ins Spiel. Sie wirft den Ball auf eine unorthodoxe Art und Weise ein. Letzten Endes schießt Babett Peter das 3:0 in der 57. Minute per Kopf. So weit, so unspektakulär. Und daran kann auch das 8:2 von Frankfurt gegen Bayern München nichts ändern.
Spannender sind die vielen kleinen Szenen im Karl-Liebknecht-Stadion. Es beginnt bereits damit, dass die Einlaufkinder gemeinsam zur Tribüne laufen und schon vor dem Anpfiff die Welle machen. Den Zuschauern ist von Anfang an die Freude am Fußball und am Event anzumerken. Gesänge und Trommeln bestimmen die Akustik.
Aber es gibt auch die Frustration. Turbine gelingt nach den ersten fünf Minuten kaum noch etwas. Trainer Bernd Schröder flippt an der Seitenlinie aus und beschwört seine Mannschaft, einfache Bälle zu spielen. Allein es nutzt nichts. Fatmire Bajramaj, der Star der Mannschaft, kommt sich bei einem Einwurf mit einem Fotografen ins Gehege. Was auch immer er gesagt hat, ihre Antwort ist deutlich zu hören, als sie ihn anherrscht: „Willst Du mal spielen oder was?“
Der Bundespräsident ist auch da. Sein erstes Bundesligaspiel (der Frauen). Die Bürde des Amtes, könnte man böswillig meinen. Aber er macht einen ganz gelösten Eindruck. Und lässt sich von mir ganz normal von der Seite anreden. Seine Antworten sind wenig überraschend. Er ist von der Kulisse und der Stimmung beeindruckt. Es sei eine Werbung für den Frauenfußball. Auch der Ministerpräsident von Brandenburg, Matthias Platzeck, freut sich: „Was gibt es Schöneres als die Deutsche Meisterschaft?“ Es ist ja nun auch nicht so, dass Brandenburg sportlich auf der Sonnenseite steht. Da tut ein wenig Glanz gut.
Einen Konfettiregen gibt es nicht zur Meisterfeier. So übertönt nichts den Jubel der Spielerinnen bei der Feier. Sektduschen gibt es für alle. Selbst die Essener machten mit. Schließlich können sie trotz Niederlage den Klassenerhalt feiern. Fatmire Bajramaj ist gefragt. Während ihre Mitspielerinnen sich gegenseitig über das Spielfeld jagen, muss sie Interviews geben. „Das ist ein verdienter Titel. Egal, was die anderen sagen. Wir haben die meisten Punkte. Aber wir waren vorher auch sehr aufgeregt.“ Was Spieler eben so direkt nach einem Titelgewinn sagen. Nach einer Sektdusche antwortet sie auf die Frage, ob sie daran denke, dass sie dieses Jahr mit Meisterschaft, DFB-Pokal, Champions League und Weltmeisterschaft vier Titel gewinnen könne: „Klar denke ich daran, alle vier Titel zu gewinnen. Ich will ja alle vier Titel gewinnen!“ Da spricht plötzlich nicht die professionelle Fußballspielerin. Da spricht der Wille.
Im vollen VIP-Zelt steht Trainer Bernd Schröder. Der Eindruck drängte sich auf, dass er Hof halten würde. Dabei tut er das gar nicht. Aber die Leute kommen einzeln zu ihm. Sie drücken ihm die Hand und danken ihm für seine Arbeit. Sie küssen ihn und danken ihm für den Titel. Sie fragen ihn und bekommen seine Meinung zu hören. Bernd Schröder hat eine klare Meinung. Und das auch in der euphorischen Stimmung des Titelgewinns. Zwei Stunden nach Abpfiff steigt er die Stufen zur Hintertortribüne hoch. Ein Autofahrer hupt, kurbelt die Scheibe herunter und ruft: „Bernd Schröder, Fußballgott!“ Bernd Schröder dreht sich auf der höchsten Stufe um und winkt.
Vor dem Stadion stehen die Fans. Sie planen die Auswärtsfahrt zum Spiel in Paris. Viertelfinale der Champions League. Es gibt Lätzchen für Babys zu kaufen, auf denen „Turbinchen“ steht. Eine Gruppe steht auf der Straße und singt: „In Frankfurt wird geweint, in Frankfurt wird geweint!“ Schadenfreude hat auch im Frauenfußball ihren Stammplatz in der Fankurve. Eine Frau ruft in ihr Telefon: „Ich habe meinem Mann die Monatskarte gegeben, damit er schon anch Hause fährt. Wir gehen noch saufen.“ Der Frauenanteil ist vielleicht höher als bei einem Männerfußballspiel. Aber die Mehrheit stellen sie auch hier nicht dar. Turbine ist ein erfolgreiches Biotop in der sportlichen Wüste Potsdams. Das zieht. Singend macht sich die Gruppe auf: „Es gibt nur ein‘ Bernd Schröder, ein‘ Bernd Schröder!“
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Herzlichen Glückwunsch nach Potsdam!
Aber die Schale schaut aus wie eine Alufelge aus den 80er Jahren…
da wär ich gern dabei gewesen. klingt wie oberligafußball bei den männern. oder berliner pokal. nicht vom spielerischen, aber von der stimmung, von der echtheit her. und gleichzeitig hat´s aber auch den glanz der championsleague. eigenwillig, aber charmant!