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Wie ich mir einmal einen Verein aussuchte, der sich mich aussuchte.

Steffi und Sebastian haben mich gebeten, mich in den bunten Reigen ihrer Urlaubsvertreter einzureihen – und wie könnte ich da nein sagen? Was sie nicht wissen konnten, war, dass ich mich als schlechter Gast erweisen würde und stundenlang plappern und plaudern würde. Tschuldigung.

„Man sucht sich seinen Verein nicht aus – Er sucht sich Dich aus“ – das ist das fußballerische Floskelequivalent zum Kennedy’schen „Frage nicht, was dein Land für dich, sondern was du für dein Land tun kannst.“ Der Verein – das ist etwas größeres als Du selbst es bist, er kommt über Dich, wenn er meint, der richtige Moment sei da und lässt Dir keine Chance.

Betrachte ich meine Verhältnis zu meiner ersten und ewig währenden fußballerischen Liebe, dem glorreichen 1. FC Köln, kommen mir da leichte Zweifel. In meiner früheren Kindheit war ich Klaus Fischer Fan. Leichte Sympathien gab es darob für Schalke 04, da spielte der Mann, der so viele und so schöne Tore schoss, aber eigentlich spielten Vereine in meiner Wahrnehmung keine Rolle, zu Hause wurde nur höchst selten die Sportschau angeschaltet. Als ich alt genug war, um zu verstehen, dass es irgendwie nicht genug war, einem einzigen Spieler die Treue zu schwören, war er schon der da, der Geissbock und sein Verein – kein Wunder, wuchs ich doch in Köln und Umgebung auf. Niemals würde ich behaupten, dass ich, wenn ich in sagenwirmal Stuttgart aufgewachsen wäre, heute nicht dem tollsten Verein der Welt, also dem 1. FC Köln, die Daumen drücken würde, aber so ganz und gar kann ich einem regionalen Druck und Bezug nicht von der Hand weisen.

Zeitsprung: Vielen Jahre später saß ich in Berlin, einige Jahre schon. Rundumversorgung via Bezahlfernsehen gab es noch nicht und so langsam begann ich zu süchteln. Einmal im Jahr Olympiastadion und wenige Auswärtsfahrten in nahgelegene Örtlichkeiten um den Effzeh zu sehen, war eindeutig zu wenig Livefußball. Und mit Live meine ich nicht Neunzig Minuten Fernsehen.

Was also tun? Zur Hertha gehen? Ins unpersönliche Olympiastadion, mit den Hertha-Fröschen, die gerne die gesamte Fahrt ins ferngelegene Charlottenburg Lieder über U-Bahnen sangen? Geht nicht, schon allein deswegen, weil mir Hertha immer eher unsympathisch war und in meiner persönlichen Berliner Realität gar nicht vorkamen. TeBe? Mit weiteren 200 Zuschauern so tun, als ob man Fußballfan wäre, wenn es in Wirklichkeit nur darum geht, dem eigenen politischen Gewissen zu frönen? Nein, tut mir leid – die politische Richtung liegt mir zwar nahe, aber in einem Fußballstadion möchte ich alt neben jung, dick neben dünn, Malocher neben Professor und links neben rechts stehen haben. Von letzteren wünsche ich mir zwar, dass sie verschwinden mögen, aber solange sie gesamtgesellschaftlich vorkommen und im Stadion ihren ungewaschenen Mund halten, kann und will ich sie nicht ausschließen.

Blieben also noch die Ostvereine. Zwar verfügte ich für einen Wessi über eine große Anzahl an Vor- und Nachwendeerfahrungen mit der DDR bzw. dem heutigen Osten der BRD, aber irgendwie waren sie kaum greifbar in meiner Wahrnehmung. Natürlich – der eine von den beiden in Frage kommenden war ziemlich bekannt, sei es als zweifelhafter Serienmeister der Achtziger oder als Sammelbecken von Hooligans und Glatzen nach der Wende. Aber nichts davon klang verlockend, im Gegenteil. Da schien selbst die in jenen Jahren sehr großkotzig auftretende Hertha noch anziehender.

Blieb also noch der Verein aus Köpenick, in diesem Blog gerne und zu Recht 1. FC Wundervoll genannt. Zufällig ergab es sich, dass sich just in dieser Zeit ein Freundeskreis entwickelte, dem schon manche Union Freunde angehörten. Eine Chance, wie gemalt, um mal hinein zu schnuppern. Als Einstieg diente das Pokalfinale 2001 – zugegebenermaßen ein einfaches Spiel im Kampf um meine Sympathie für den Underdog, der an diesem Abend nicht verlieren konnte, weder auf dem Feld noch in meiner persönlichen Meinungsumfrage. Aber nun gut, so ein Festtag kann zwar auch weniger sympathisch ablaufen, aber es ist eben „nur“ ein Festtag – im Fußballalltag musste sich erst beweisen, ob der Verein halten kann, was er versprach.

Der erste Spieltag der neuen Saison nahte, wie es das Schicksal wollte zudem noch der erste in der just erkämpften Zweiten Liga. Viel Gutes hatte ich schon gehört, und nichts davon erwies sich als gelogen.
Das Stadion an der Alten Försterei: Marode und wunderschön. Ein reines Fußballstadion ohne Komfortzonen. Die Stufen damals noch krumm und schief, auf der Anzeigetafel wurden die Ziffern gesteckt und niemand präsentierte das Eckballverhältnis. Die Stufen sind zwar inzwischen gerichtet, aber Eckballverhältnispräsentatoren gelten immer noch als Komparsen des Teufels.
Die Mannschaft: Spielte in jener Saison zwar einen ziemlich ansehnlichen Fußball – Vidolov zauberte Kunstschüsse aus dem Stutzen hervor, Beuckert schlug zwar jeden Abstoß ins Aus, hielt aber ansonsten hervorragend, Steffen Menze hatte schuld und zwar zumeist daran, dass die Abwehr zusammengehalten wurde, und am Rand stand der bulgarische General und kommandierte – aber beeindruckender noch war, dass selbst diese gute Mannschaft zeigte, dass sie wusste, was von ihr erwartet wurde: Sich nämlich im Notfall den Hintern aufzureißen und lieber die Grätsche anzusetzen als den zehnten Übersteiger hintereinander zu vollziehen.
Die Fans und die Stimmung: Ein Fest. Das ganze Stadion, von der Gegengerade bis zur Zuckertorseite sang, schwieg, summte und brummte, je nach Spielstand und Lust und Laune. Bis zum heutigen Tag, nach neun Jahren Union-Geherei, kann ich Sprechchöre für einzelne Spieler an einer Hand abzählen. Und, mindestens ebenso wichtig, an Pfiffe gegen die eigene Mannschaft kann ich mich nur in der Saison 04/05 erinnern, als der Zweitliga-Absteiger in die Oberliga durch gereicht wurde – anderenorts hätten sie vom Totschlagen gesungen, hier wagten es einige wenige zu pfeifen – nur um gleich vom Nachbarn böse Blicke zu ernten. Die Mannschaft als Ganzes ist das wichtige und niemals wird gegen die eigenen Farben gepfiffen. Der Geschichten gäbe es noch so viele, die erzählt werden könnten.

Vom ersten Tag an wusste ich, dass das Stadion an der Alten Försterei, dass Union und seine Fans Heimat sind. Zu Hause sein. Nie wird es Union gelingen, den 1. FC Köln vom Thron in meinem Fußballherzen zu stoßen. Das macht aber nichts, Union verzeiht mir das, so scheint es mir. Ich besuche derweil jedes Heimspiel (solange der Effzeh nicht zeitgleich im Olympia-Stadion spielt – aber die Gefahr ist ja erstmal gebannt) und fahr hin und wieder zu einem Auswärtsspiel, ob es in Lovech oder beim BFC Preussen Berlin stattfindet. Ich blätter im liebevoll gemachten Programmheft, das im Gegensatz zu den meisten anderen ein Programmheft ist und kein Werbeblättchen. Ich erfreue mich an der guten Musik im Stadion und dem Fehlen von Cheerleadern. Vor allem aber freue ich mich daran, dass all das egal ist im Moment des Anstoßes. Und ich dankbar sein kann, dass die Suche nach einer Alternative zum Konservenfußball viel mehr als nur eine Alternative ergeben hat. Natürlich, in einem gewissen Sinne habe ich mir Union ausgesucht. Aber im Grunde hatte ich nie eine Chance mich anders zu entscheiden.


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8 Kommentare zu “Wie ich mir einmal einen Verein aussuchte, der sich mich aussuchte.

  1. Schön.

  2. Die Schilderung könnte glatt dem Union-Kanon von der Infizierung entnommen sein. Musste mir ein rot-weißes Tränchen der Rührung verdrücken.
    Aber mal im Ernst: Wie nimmst Du eigentlich Spiele wie das 7:0 von Köln in der Liga gegen Union wahr? Das muss einen doch zerreissen.

  3. Nun ja, gottlob gab es diese Begegnung ja in Pflichtspielen erst zweimal. Und in jener Saison war es so, dass der Effzeh die Punkte dringender brauchte zur Erreichung des Saisonzieles – das wirkt sich dann auch auf den emotionalen Haushalt aus.
    Das 7:0 ist eine eigene Geschichte: Wie ich zu Hause saß, umgeben von Unionern, die mit jedem Tor und jedem meiner Biere fatalistischer wurden, während mir die sanfte Freude mehr und mehr im Halse stecken blieb, und und und. Wobei ich aus heutiger Sicht sehr froh bin über das Ergebnis, denn fast alle Effzeh Fans, die ich so kenne, sprechen sehr positiv über Union – und sei es nur aufgrund des erstklassigen Eindrucks, den die singenden und feiernden Unionfans machten, während ihre Mannschaft da unten auf dem Feld verganzengkistet wurde.

  4. Sehr schöner Beitrag, so ist das mit dem eisernen Virus.
    Wer ihn erst einmal hat wird ihn nicht wieder los.

  5. Sehr sehr schön, da müsste man glatt mal hingehen.. ;-)

    Ein Punkt ruft dennoch Stirnrunzeln hervor:
    „…kann ich Sprechchöre für einzelne Spieler an einer Hand abzählen“

    Was ist daran schlecht? Ich frage aus ernsthaftem Interesse, zumal in Stuttgart individuelle Gesänge auch ziemlich verdrängt wurden. Ich weiß, ich weiß, der Verein ist größer als jeder Spieler usw., aber darf man deshalb einen einzelnen nicht feiern? Für eine an diesem Tag außergewöhnliche Leistung? Oder, im Gegenteil, um jemanden nach einem gravierenden Lapsus aufzumuntern? Von einem Comeback nach längerer Verletzung will ich gar nicht reden, das fällt aus dem Rahmen.

    Oder hab ich Dich da falsch verstanden?

  6. Sagen wir mal so: Ein wirklich großes Ärgernis sind individuelle Gesänge nicht, und manchmal, zum Beispiel in den von Dir aufgezählten Fällen von Kopf-hoch oder Willkommen-zurück, können sie auch aus meiner Sicht sehr angebacht sein.
    Grundsätzlich aber mag ich diese Stärkung des Kollektivs, die aus dem weitesgehenden Verzicht für Einzellobhudeleien spricht. Der verbale Ausdruck mannschaftlicher Geschlossenheit quasi.

  7. Fein, fein, fein!

  8. Dreimal Guck mal woanders…

    Zwei kleine Hinweise möchte ich heute loswerden, Hinweise auf von mir geschriebenes, das aber nicht hier, sondern woanders erschienen ist. Zum einen haben die Textilvergeher den ihnen sicher höchstgradig zustehenden Urlaub gemacht und im Zuge…

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