Blog State of the Union

Union gibt sich die Chance, Glück zu haben

Union ist in der letzten Länderspielpause und damit nach etwas mehr als zwei Dritteln der Saison Dritter in der 1. Bundesliga der Männer. Dass das ein Riss im Raum-Zeit-Ereignis-Kontinuum der Welt zu sein scheint führt dazu, dass immer wieder einmal angezweifelt wird, ob das Team zurecht dort steht. Wenn dieses Argument sportlich vorzubringen versucht wird, dann gern mit Verweis auf Statistiken, die scheinbar zeigen, dass Union mit seinen 14 Siegen, sechs Unentschieden und nur fünf Niederlagen Schecks einlöst, die von den eigenen Leistungen nicht gedeckt sind.

Kevin Behrens Union Berlin
Unver-was hast du gesagt? Photo: Matze Koch

Und tatsächlich: Union hat die zweitwenigsten Torschüsse in der Liga, die drittwenigsten, die auf das Tor kommen, und die zweitgeringsten ‚expected Goals‘ (zur Erinnerung: das ist eine Gewichtung der Torchancen nach Wahrscheinlichkeit zu treffen, wie alle Statistiken hier von fbref). Dass Union bei den tatsächlich geschossenen Toren immerhin im Liga-Mittelfeld ist liegt daran, dass nur Bayern seine ‚expected Goals‘ ähnlich weit übertrifft. Dass Bayern in dieser Wertung eigentlich immer mit oben stehen, lässt vermuten, dass das auch etwas mit Qualität zu tun hat. Allerdings bin ich mir bei Union tatsächlich nicht so sicher, was an belastbaren und erklärbaren Faktoren dazu beiträgt, dass das Team so effizient ist. Ja, bei gut sortierten Standardsituationen und großer Durchsetzungskraft dabei könnte man dafür argumentieren. Aber abgesehen davon dürfte das tatsächlich auch etwas Glück dabei sein. Nur: dass nicht direkt vieles gegen Union gelaufen ist in dieser Saison ist bei Platz Drei nach 25 Spieltagen (!) auch nicht bahnbrechend überraschend.

Man könnte sich dann noch überlegen, wie weit Unions Ergebnisse die Leistungen übertreffen. Nach ‚expected Goals‘-Tordifferenz, also einschließlich der Defensive, ist Union 12., zum Beispiel hinter dem nächsten Gegner aus Stuttgart, der in der echten Tabelle Letzter ist. Ohne dafür ausgereifte Argumente vorbringen zu können, sondern eher aus einem statistischen Bauchgefühl heraus würde ich sagen, dass das wiederum Unions Qualität untertreibt. Die liegt natürlich vor allem in der Defensive: Union hat die zweitwenigsten Gegentore der Liga mit 28, und neun davon gab es bekanntlich in einer Woche im November. Diesen Wert decken auch die Defensiv-Statistiken. Und damit ist Union eben grundsätzlich in jedem Spiel konkurrenzfähig, und bringt sich überhaupt erst in die Position, punktemäßig von ein paar eher glücklichen Toren zu profitieren.

Unions defensiver Stil ist dabei weiter eigenwillig, wie auch die Statistiken zeigen. Die Mannschaft gibt mehr Räume auf als der Rest der Liga, selbst bis ins letzte Drittel hinein, aber erlaubt dann nur sehr wenige wirklich gefährliche Pässe. Die Verteilung von Unions Defensivaktionen auf das eigene Verteidigungs-, Mittelfeld- und Angriffsdrittel ist nicht mehr so extrem polarisiert, wie das schon einmal der Fall war. Aber es ist immer noch klar, dass Union das gegnerische Spiel zuerst eher zurückhaltend leitet, und dann bei gefährlichen Aktionen konsequent verteidigt.

Wenige herausragende Individualisten…

Recht typisch für Union ist auch, dass nicht allzu viele Union-Spieler in mit Topwerten in individuellen Statistiken auffallen. Jedenfalls in vielen Kategorien nicht. Auffällig ist da aktuell aber Kevin Behrens, der die neuntbeste Torquote in der Liga hat, aber auch besonders effizient in seinen Abschlüssen ist: Nur Moanes Dabbur (66,7%) bringt mehr seiner Abschlüsse auf das Tor als Behrens (60,7), nur Chuopo-Moting von Bayern und Masovic von Bochum brauchen weniger Schüsse, um ein Tor zu machen. Kevin Behrens und seine starke Saison stehen auch in einem Artikel von Matze Koch in der BZ im Fokus.

Behrens Sturmpartner Sheraldo Becker ist nach seinem extrem heißen Saisonstart dagegen in den vergangenen Monaten bekanntlich deutlich abgekühlt. Er gehört aber immer noch zu den Spielern, die ihre ‚expected Goals‘-Werte am meisten übertreffen. Das legt nahe, dass Sheraldos Problem aktuell eher ist, dass er keine wirklich guten Abschlüsse bekommt, weniger, dass er daraus zu wenig macht. Meine Wahrnehmung dazu in den vergangenen Wochen war, dass Becker zu oft nach langen Sprints und im Strafraum recht weit abgedrängt zum Schuss kommt, selten mit Schwung oder aus zentralen Positionen. Das ist naturgemäß weniger gefährlich, und mehr ein mannschaftliches als ein individuelles Problem.

außer: Frederik Rønnow!

Und dann ist da noch ein Spieler von Union, der absolute Topwerte aufweist. Ich traue mich fast nicht, diesen Abschnitt zu schreiben, weil ich vielleicht gar nicht will, dass die ganze Welt das mitbekommt. Aber hier lesen ja nur Unioner*innen, oder? In jedem Fall zeigt sich nicht nur für jede Person, die Union-Spiele schaut, sondern auch in den Statistiken, dass Frederik Rønnow eine phantastische Saison spielt.

Frederik Rönnow Statistiken Bundesliga Union Berlin
Frederik Rönnow ist der beste Torwart dieser Bundesliga-Saison. Statistiken: fbref

Mit Unions Defensive insgesamt gehört er wie erwähnt zu den besten der Liga. Aber auch Rønnow selbst hat einen riesigen Anteil daran, dass Union noch weniger Tore kassiert als aus den zugelassenen Chancen zu erwarten wäre. Er hat die beste Quote gehaltener Bälle in der Liga, vor Manuel Neuer, Gregor Kobel und Yann Sommer. Und all diese Welttorhüter kassieren mehr Gegentore als Unions Nummer Eins, und vereiteln nicht so viele aussichtsreiche Chancen wie er. Natürlich ist das alles auch ein Verdienst des defensiven Zusammenspiels, wie auch Lennart Grill erfahren musste, als er in den beiden defensiven Zusammenbrüchen in Freiburg und Leverkusen im Tor stehen musste. Aber auch so gilt: Die Saison, die Freddy Rønnow gerade spielt, ist wahrscheinlich eine der besten jemals in einem Union-Trikot.

Frederik Rönnow Union gegen Frankfurt
Frustriert nicht nur Frankfurt: Frederik Rönnow. Photo: Matze Koch

Union-Frauen

Wir sind leider heute etwas spät mit Sotu dran, um euch dazu aufzurufen, zum Kunstrasenplatz von Borussia Pankow an der Pichelswerder Straße zu kommen, wo heute die 2. Frauen von Union gegen den punktgleichen Verfolger das wohl entscheidende Spiel um die Verbandsligameisterschaft bestreiten. Beide haben alle Spiele in dieser Saison gewonnen mit Ausnahme des 1-1 beim ersten Spiel gegeneinander, Union mit einer Tordifferenz von +112, Borussia Pankow mit +83. Das Spiel begann um 13:30.

Union Berlin Frauen
Die 1.Frauen spielen in Steglitz. Screenshot: Instagram

Und auch die 1. Frauen in der Regionalliga sind auswärts in Berlin im Einsatz, gegen den abstiegsbedrohten SFC Stern (14 Uhr, Schildhornstraße in Steglitz).

26 Kommentare zu “Union gibt sich die Chance, Glück zu haben

  1. BlnMeandor

    Toller Artikel!
    Kurze Nachfrage, ansonsten müsste ich googeln: Gab es nicht mal eine Untersuchung, dass ca. 50% der Tore Glück bzw. Zufallsprodukte sind? Durchs Abfälschen usw.? Wäre demnach eben nicht der Ansatz, so wenige Schüsse wie möglich zulassen (eben wie Union stark verteidigen) und dann selbst einfach etwas öfter draufhalten?

  2. Was bin ich froh, dass Fußball immer noch das einfache Spiel ist, bei dem die Mannschaft gewinnt, die mehr Tore schießt als der Gegner.
    Die ganzen Statistikspielereien sind ja gut und schön und geben bestimmt auch einen Haufen Hinweise, aber am Ende sind es eben nur Statistikspielereien.
    Union steht nunmal vollkommen zu Recht dort oben, soll die Konkurrenz doch jammern.

    • Das ist ne unterkomplexe Sichtweise

    • Die Statistiken liefern Fakten, die je nach Interpretation belegen können / sollen, warum manche Teams Erfolg haben und manche nicht.

      Der dritte Platz folgt resultiert daraus, dass das Team dort steht, dass mehr Punkte durch Siege oder Unentschieden gesammelt hat. Union steht zweifelsohne zu recht auf Platz 3, weil sie mehr Punkte als 15 Teams der Liga gesammelt haben. Die Frage des „Warum?“ damit zu beantworten, weil sie mehr Punkte gesammelt haben, in dem sie nicht verloren haben, führt zu der Frage, warum sie mehr Punkte haben. Die Antwort, weil sie in den meisten Spielen mehr oder immerhin genauso viele Tore wie das gegnerische Team geschossen haben, finde ich etwas unbefriedigend, auch wenn du damit recht hast. Eine Erklärung für den Erfolg ist das aber nicht.

  3. Ist auch die Idee unterkomplex, dass diese Statistiken zeigen, dass das Trainerteam überproportional gut weiss, wie mit dem vorhandenen Spielerpotential eine Spielweise zu entwickeln ist, die zu möglichst vielen Punkten führt?

    • das wiederum ist eine These, die nach Argumenten und Beispielen ruft;) Auch das muss sich in irgendwas, was auf dem Feld passiert, und was man beobachten und vielleicht auch in Statistiken ausdrücken kann, niederschlagen

    • Die Frage könnte ja sein, inwieweit man statistische Mängel mit „softskills“ (mentale Stärke, Teamgeist, Kampf / Engagement / Fleiß, etc.) als Trainerteam und Verein kompensieren kann.
      Spieler erwähnen immer wieder, wie angenehm es bei Union ist (Max Kruse sprach im Doppelpass davon, dass bei Union schon mal 8 Spieler abends zusammen essen gehen und das sei im Profifußball unüblich, „die Jungs“ helfen einander bei der Wohnungssuche, was bei deren Gehältern womöglich weniger umständlich ist, als für die Meisten). Ich denke, die „Atmosphäre im Verein“, was auch uns Fans einschließt, sowohl während der Spiele, wie auch die gesamte Stimmung (kein Druck, keine „Trainer raus“-rufe (auch, wenn es mal schlecht lief… damals), hilft, „überzuperformen“.

    • Ich finde es absolut bemerkenswert und muss auch ein großes Lob an das Trainerteam aussprechen, dass es bisher kaum zu großen Verletzungen der Spieler gekommen ist. Insbesondere Muskelverletzungen sind im Vergleich zu anderen Vereinen gefühlt sehr selten, was für eine außergewöhnliche Steuerung der Regeneration spricht, gerade bei der extrem hohen Belastung.

  4. Zugezogener

    In dieser einen unglücklichen Woche im November gab es sogar 11 der 28 Gegentore.

    • oh, das stimmt natürlich, weil das Augsburg-Spiel ganz anders war, hab ich es mental eine Woche weiter geschoben (obwohl ich noch nachgeschaut hatte, naja).

    • und in dieser unglücklicher Woche war Grill im Tor, also Rönnow hat in 22 Bundesligaspielen dieser Saison nur 17 Tore einkassiert. Wahnsinn!

  5. Die Statistiker haben die Fußballwelt nur verschieden interpretiert. Es kömmt auf die Trainer an, diese zu verändern.

    Ich finde das für mich selbst erklärend. Schade, dass diese Sichten so wenig einfließen, denn da steckt soviel Kreativität hinter, die sich den herkömmlichen Statistiken entzieht.

    Sagt ein seit 1997 lizenzierter Trainer und Fan seit 1974 (Dankeschön an Vati)

  6. Ihr macht unser Spiel kaputt heisst es in anderem Zusammenhang. Kann man auch auf alle denkbaren
    Statistiken und die davon Abhängigen anwenden. Sollen sie sich meinetwegen daran begeistern. Nicht meine Welt. Entscheidend is aufm platz bringt mir immer noch mehr. und Union offensichtlich auch.

    • nein, heißt es nicht

    • nö, du zitierst einfach falsch oder unklar.

    • Und ein Blogeintrag, der Unions Spiel statistisch beschreibt, muss „deinen Sport“ oder die Sicht darauf nicht kaputt machen. Wenn dich ein solcher Text stört, warum liest du ihn dann?

      Ich finde es immer wieder interessant und freue mich über diese Texte. Danke Daniel!

  7. @daniel: schön dass du im Besitz der allein seeligmachenden Wahrheit bist. Kleriker und chefideologen lassen keine Ansichten neben der ihren zu. Macht das Leben einfacher. Aber nicht unbedingt erstrebenswert. Da bleibe ich lieber unterkomplex. Oder übersetzt: harmloses fussballgemüt.

    • Ich verstehe nicht immer alles von diesen Statistiken aber ich finde es gut, ab und zu davon zu lesen.

  8. Hermann Gerland hat mal gesagt: „Immer Glück ist Können.“

    Punkt.

    • Würde ich so unterschreiben. Allein schon statistisch müsste sich doch über einen Zeitraum von paar Jahren Glück und Pech ausgleichen. Da es bei uns gefühlt sein 4 Jahren überwiegend glücklich läuft, mit steigender Tendenz, kann das doch nur Können sein – es durchblickt halt nur niemand, welche Art von Können.

    • Naja, die Diskrepanz zwischen Statistiken und Ergebnissen war in der Zeit aber meistens viel kleiner als in dieser Saison.

    • Vor ein paar Jahren wurde mal analysiert, wie die Teams von Lucien Favre es schaffen, kontinuierlich zu überperformen: https://11freunde.de/artikel/das-favre-r%C3%A4tsel/539569 Nun spielt Union, zumindest aus meiner laienhaften Sicht, ganz anderen Fußball. Aber vielleicht hat Urs ja einen anderen Blind Spot gefunden, der mit den gängigen Statistiken nicht zu erfassen ist?

  9. Ich finde Statistiken schon interessant. Aber sie ersetzen keine Matchplananalyse. Und das ist vielleicht unser Rezept. Ich mag auch deshalb die Sicht von Daniel auf die Dinge.

    • Also ich sehe ziemlich viele Favre-Parallelen. ;)
      U.a.: “ Favres Mann­schaft ließ die Gegner also lange spielen, aber wo es ernst wurde, traten sie massiv dagegen auf.”

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