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„Sklaverei – so kann man es nennen“

Gestern Abend begann im Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz das 11mm Filmfestival. Während des Festivals gibt es hier einige kurze Rezensionen zu Filmen, die dort laufen. Den Anfang macht der Eröffnungsfilm ‚The Workers Cup‘

Schon der Titel des Films und des Fußballturniers, das er portraitiert, zeigt, wie im nächsten WM-Gastgeberland die Rollen verteilt sind. ‚The Workers Cup‘ heißt der Film. Man beachte den fehlenden Apostroph: Es ist nicht der Pokal der Arbeiter, sondern eine Turnier mit Arbeitern.

In dieser zu tiefst ambivalenten Veranstaltung treten Arbeiter aus den Lagern in Katar in einem Turnier an, dessen Mannschaften von den Firmen gestellt werden, die den Arbeitern ausbeuterisch niedrige Löhne zahlen. Einige wenige dieser Arbeiter folgten tatsächlich Versprechungen fußballerischer Gelegenheiten nach Katar, die allermeisten dagegen wählten die – allerdings nicht wirklichkeitsgetreu beschriebenen – Möglichkeiten, überhaupt zu arbeiten und Geld zu verdienen, da ihnen die Aussichten in ihren afrikanischen oder zentralasiatischen Heimatländern noch schlechter vorkamen.

Der Film zeigt über einen langen Zeitraum und mit einmalig ausgiebigen Möglichkeiten, innerhalb der Arbeitslager zu drehen, vor allem die Menschen, die warum auch immer dort hingekommen sind. Man sieht diese Menschen als Persönlichkeiten, mit Träumen, Talent und Eloquenz. Die Dokumentation zeigt auch die Bedingungen unter denen sie in Qatar leben und – nachdem sie für dieses Privileg Transportgebühren gezahlt haben – für 200 Euro im Monat in einem der reichsten Länder der Erde arbeiten. Die Arbeitsbedingungen auf den Baustellen sind so schlecht, dass der talentierte Torwart der Mannschaft, einst Jugendauswahlspieler in Ghana, inzwischen mit einer von schlechten Presslufthämmern zerstörten Schulter wieder in seiner Heimat ist, noch perspektivloser als bevor er sie verließ. Schon die verzweifelte Lage mancher Arbeiter in den Ländern, aus denen sie kommen, macht es falsch, zu sagen, dass sie freiwillig in Qatar arbeiten. Dass sie dort nicht frei wählen dürfen, für wen sie arbeiten, dass gängige Arbeitszeiten zwölf Stunden an sieben Tagen der Woche sind und dass selbst die wenige Zeit, die das übrig lässt, von den (oft europäischen und britischen) Firmen bestimmt und reglementiert wird macht verständlich, dass einer der Protagonisten in einer Diskussion darüber, was Freiheit bedeutet über ihre Lage sagt: „Sklaverei – so kann man es nennen.“

WorkersCup
Kenneth ist Kapitän der Mannschaft im Zentrum des Films, Still mit freundlicher Genehmigung

Die Verhältnisse, die man in ‚The Workers Cup‘ sieht, sind aber mit Abstand weder die schlimmsten in Qatar, noch irgendwo auf der Welt. In dem Golfstaat geht es den Arbeitern, die in Firmen gebunden sind, die sich nicht für öffentlichkeitswirksame Aufträge bewerben, sehr viel schlechter. Denn für sie gelten etwa neue Schutzbestimmungen nicht. Diese Schutzbestimmungen hatte Raphael Brinkert, der zur Diskussion eingeladene Vertreter der PR-Agentur Jung von Matt, die auch für das Qatarische Supreme Committee arbeitet, als Argument vorgebracht, dass die Ausrichtung der WM dort doch positive Folgen habe. Dieses Argument ging ebenso fehl wie der Verweis auf noch schlimmere oder ebenfalls nicht gute Verhältnisse anderswo. Denn weder inkrementelle Verbesserung noch aber-was-ist-denn-mit-Vergleiche rechtfertigen die Verletzung fundamentaler Rechte in einem konkreten Fall. Den Kontrast zur Haltung, mit der Brinkert über Qatar sprach, lieferte Ewald Lienen, der sagte, was empathisch denkende Menschen sagen würden.

Die Fußballspiele, die der Film zeigt, sind durchaus auch für das Publikum mitreißend. Sie erinnern in manchen Momenten an die Tradition des Fußballs in Europa, als ebenfalls zehntausende Arbeiter in ihrer sehr knappen nicht-Arbeits-Zeit Fußballspiele sahen. Der Unterschied zur Inszenierung des Qatar Supreme Committee ist dabei natürlich, dass die Mannschaften damals zumindest nicht direkt die Konglomerate repräsentierten, in denen die Menschen arbeiteten. Das ist in Qatar anders. Das Land insgesamt wird wie eine private Firma aufgeteilt, geführt und reglementiert, wie Produzenten Rosie Garthwaite sagte (ein längeres Interview mit ihr gibt es in Episode 1101 des Podcasts The Second Captains). Und tatsächlich scheinen die Kenneth, Samuel oder Padam sich an Hand ihrer Fußballmannschaft mit der Firma zu identifizieren, die das Lager unterhält, aus dem sie sich nicht frei entfernen können. Das erscheint ebenso schizophren wie wenn einer der Protagonisten, kurz bevor er in seine nepalesische Heimat zurückkehrt, sagt, er würde die Wolkenkrazer vermissen, die es dort nicht gibt — und dann das eine oder andere dieser Gebäude mit Freunden und unbekannten Arbeitern in Verbindung bringt, die bei seiner Errichtung in Unfällen starben.

Aber zumindest diese Ambivalenz lässt sich durchaus auflösen. Denn die Männern – es sind nur Männer, die auf Qatars Baustellen arbeiten – sind intelligent, klarsichtig und reflektiert. So ist ihnen sehr wohl bewusst, dass das Turnier, in dem sie spielen, ihren Firmen dazu dient, sich besser darzustellen in den Augen der Welt, aber vor allem derjenigen, die Aufträge für WM-Bauprojekte vergeben. Aber trotzdem ist ihr Gefühl von Zusammenhalt, ihr Stolz auf ihre Leistungen und ihre Freude und Trauer über gewonnene und verlorene Spiele echt. Diese Gefühle beziehen sich zwar zunächst auf die eigene Mannschaft, die ebenso nach den sie beschäftigenden Firmen ebenso zufällig eingeteilt ist, als habe man in einer Schulklasse wahllos rote, grüne und gelbe Hemden verteilt. Aber sie endet nicht da, etwa, wenn man sieht, wie die Protagonisten des Films im Finale eines der Turniere die Mannschaft unterstützen, der sie im Halbfinale unterlegen waren, weil deren Spieler eher wie Arbeiter und die ihrer Kontrahenten eher wie angestellte Manager wirken.

Ko-Produzentin Rosie Garthwaite im Gespräch mit Ewald Lienen; Photo: Stefanie Fiebrig

Allerdings verschweigt der Film auch die Konflikte nicht, die auch innerhalb einer Mannschaft entstehen können, in der Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenkommen, und in denen auch Rassismus vorkommt. Der Film zeigt an dieser Stelle einen flammenden Apell des Trainer des Teams, der angestellter Planer der Baufirma ist und sich im Zug der Mannschaftsbildung endlich als Teil seiner arbeitenden Belegschaft sieht. Die Arbeiter sollen sich bewusst werden, was jeder von ihnen und sie zusammen leisten und in welcher Opposition sie stehen: „Wir sind, ihr seid, besser als alle anderen.“ Die Anderen sind in diesem Fall zum einen die Qataris, deren Wohlstand die WM sogleich möglich macht und mehren soll. Es sind aber auch die Konsumenten in den weißen westlichen Welt – vor allem jene, die am Golf ‚keine Sklaven gesehen haben.‘

‚The Workers Cup‘ zeigt damit nicht nur die Tragik der Qatarischen Version ‚zeitgenössischer Sklaverei‘ (so kategorisierte der Journalist Tom Mustroph das Kafala System), sondern vielleicht auch den Keim von dessen Überwindung. 60% der Bevölkerung Qatars sind ausländische Arbeiter, die meisten in noch katastrophaleren Situationen. Wenn sich Punkte finden, an denen sich ein Bewusstsein gemeinsamer Identität und Interessen dieser Arbeiter kristallisiert, braucht es nicht zu viel Phantasie zu sehen, wie daraus so etwas wie eine revolutionäre Situation entstehen kann.


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3 Kommentare zu “„Sklaverei – so kann man es nennen“

  1. vielen dank dür diesen eindringlichen film- u zugleich situationsbericht. spätestens jetzt weiß ich, dass ich die fifa-wm(s) nicht mehr sehen kann u will, wie überhaupt den verlogenen glamour drumrum, egal ob russland, qatar, brasilia … unser fußballkaiser franzl beckenbauer sollte persönlich zu diesem film stellung beziehn! würde er dann nochmal behaupten, dass er wirklich keine sklaven gesehn hat??

  2. Jan Grobi

    Der Franz wird erstaunt sein

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