Gestern abend wurde das diesjährige 11mm-Fußballfilmfestival im Berliner Kino Babylon eröffnet. Auftakt war die Welturaufführung von Aljoscha Pauses Langzeitdokumentation über Thomas Broich, „Tom meets Zizou – Kein Sommermärchen“.
Vorab dies: Wer seine Illusionen über den Traumberuf Fußballprofi behalten möchte, darf sich diesen Film auf gar keinen Fall ansehen. Allen anderen sei er dringend empfohlen, denn es ist einer jener seltenen Filme, die zwischen der Welt der Fußballspieler und dem Paralleluniversum des Fußballpublikums vermitteln. Man sollte ihn sich mit seiner Lieblingsfußballmannschaft zusammen ansehen. Man könnte sich anschließend stundenlang sinnvoll unterhalten, ganz ohne Bier, Vereinstradition und Schulterklopfen.
Aljoscha Pause hat den Fußballspieler Thomas Broich über acht Jahre begleitet. Aus 100 Stunden Material ist ein zweistündiger Dokumentarfilm entstanden, der vor allem Fußballalltag aus der Sicht des jungen Spielers zeigt. Dazu wurden die Interviews mit Broich, seinen Mitspielern, Trainern, seiner Lebensgefährtin und seiner Familie, die während dieser Zeit entstanden, aneinander gereiht und von Thomas Broich aus der Jetzt-Perspektive kommentiert. Öfter als einmal passiert es ihm, dass er sich befremdlich findet, über seine damalige Selbstinszenierung lachen muss, sich unerträglich eitel nennt. „Selbstbewusst oder abgehoben?“ fragt er sich dann.
Der Film setzt 2003 ein, Broich war gerade mit Wacker Burghausen in die zweite Bundesliga aufgestiegen und galt als großes Talent. Er wechselte im Jahr darauf in die Bundesliga zu Borussia Möchengladbach. Zu erwarten waren nunmehr ein kometenhafter Aufstieg, die Nationalmannschaft und eine große internationale Karriere. Die spielerische Befähigung dazu wurde ihm von allen Seiten zugesprochen. Thomas Broich spielt heute bei Brisbane Roar in Australien. Der Film untersucht, was ihn in der Bundesliga immer wieder aus der Bahn geworfen hat. Er selbst bezeichnet seine Geschichte als die eines Scheiterns und sagt über sich „Ich bin kein sonderlich erfolgreicher Spieler“.
Das mutet seltsam an, wenn man berücksichtigt, wie weit nach oben es Thomas Broich trotz alledem geschafft hat. Verständlich wird es erst, wenn man sich vor Augen hält, was für ihn möglich war.
Aljoscha Pause hatte in mehrfacher Hinsicht großes Glück mit seinem Protagonisten. Thomas Broich ist nämlich kein tragischer Held. Die Geschichte wäre nicht erzählenswert, wenn ihn Verletzungen oder Krankheit gehindert hätten. Er beklagt sich auch nicht. Es waren seine Persönlichkeitsstruktur und das System Bundesliga, die nicht zusammengepasst haben. Wie sehr kann man sich als Person zurücknehmen, ohne Schaden zu erleiden? Wann ist der Punkt erreicht, an dem man besser aufgibt? Darf man überhaupt aufgeben, wenn man so glänzende Aussichten hat? Man merkt dem Film außerdem an, dass sich Broich und Pause mochten und vertrauten. Und schließlich wirkt Broich zu jeder Zeit reflektiert und sympathisch.
Heute sagt er, er habe sich damals nicht vorstellen können, auf was er sich einließ, als er Pause und seinem Filmprojekt zusagte. Schon gar nicht, dass er damit einmal bei einer Filmpremiere auf der Bühne landen würde. Viele Szenen hätte man zu Broichs Zeit in Deutschland auch nicht zeigen können, ohne ihn postwendend arbeitslos zu machen. Beispielsweise die, in der sich Christoph Daum über Thomas Broich und Thomas Broich über Christoph Daum äußern. Ein größeres Mißverstehen zwischen Trainer und Spieler ist kaum vorstellbar.
Etwas irritierend sind die Bilder von Thomas Broich heute in Australien. Sie taugen sicherlich als Ausdruck momentanen Empfindens, es bleibt aber fraglich, ob sie in zwei Jahren noch gültig sind. Sie erinnern, und das ist wohl kein Zufall, an seinen Karrierebeginn, als die Welt noch in Ordnung schien. Die letzten Sequenzen, der Gewinn der australischen Meisterschaft, sind erst kurz vor der Uraufführung des Films angefügt worden. Das merkt man, hier entsteht ein Bruch in der ansonsten konsequenten Umsetzung, der aber verschmerzbar ist. Es bleibt ein langer, aber sehr lehrreicher Film, in dem nichts Spekatuläreres als der ganz alltägliche Wahnsinn gezeigt wird. Ganz am Rande werden viele Fragen aufgeworfen, die sich jeder Fußballfan ruhig einmal stellen darf, bevor er das nächste mal „Scheiß Millionäre“ ruft.
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klingt spannend! wie war sonst so die festival-stimmung? macht ihr noch was allgemeines dazu?
Ich les das erst nachdem ich den Film heute abend gesehen haben werden sein. Oder so.
Naja, okay, ich konnte nicht anders, und hab schon mal gespinkst. Und das macht Vorfreude.
@jens Am ersten abend ist die Stimmung traditionell prima & die Bude voll. Das war auch gestern so. Interessant ist eigentlich immer die Mischung an Leuten, die sich da zusammenfindet. Kinofreunde, die nicht unbedingt Fußballfans sein müssen. Fußballfans, die auf den Film über ihren Verein warten. Und tatsächlich auch Fußballspieler. Ich möchte, wenn ich´s schaffe, am Ende eine Art Resumee schreiben. Es ist diesmal ja dreigeteilt, es gibt die Kurzfilme während des gesamten Festivals, dann das Schwerpunktthema Frauenfußball und eben die „ganz normalen“ Fußballfilme. Ich bin gespannt, wie das so ankommt, aber das Programm liest sich gut.
@mars ick sach´ma: et jab Szenenapplaus aus dem Publikum :) Toller Film, find ich immer noch.
Keine Ahnung wie der Film ist. Der Auftritt Thomas Broichs gestern im Aktuellen Sportstudio jedenfalls war grottig. Nicht wegen Thomas Broich, der sehr sympathisch auftrat und mit dem man sicher ein spannendes Gespräch hätte führen können, sondern wegen dem Aktuellen Sportstudio und insbesondere Michael Steinbrecher, die nicht in der Lage sind, Themen die bspw. im Beitrag hier angesprochen wurden, im Rahmen einer Magazinsendung mit Ansätzen von Tiefgang zu behandeln. So wurde ein „Australischer Meister, das ist einen Applaus wert“ und „das Tor hier wurde zum schönsten Tor der Vereinsgeschichte gewählt“ Geplapper draus. Schade um das, was Thomas Broich eventuell zu sagen gehabt hätte. Schade auch um ein Sendungsformat, das in der Form fast vollständig überflüssig ist. Im Gegensatz zu dem gelungenen Bericht über den Film hier.
@rotebrauseblogger das ist schade drum, weil der Film Werbung verdient hat und am Ende ziemlich klar macht, warum der Broich da in Australien so zufrieden ist – nicht wegen Meisterschaft und schönstem Tor, sondern weil er wieder Spaß am Leben hat. Für das Lob danke ich! 11mm ist ja inzwischen auch in anderen Städten zu Gast, die können Leipzig auf Dauer nicht auslassen ;)
Liebe Steffi,
der beste Artikel über den Film, den ich bisher gelesen habe. Besonders gut gefällt mir deine Feststellung im letzten Absatz:
„Etwas irritierend sind die Bilder von Thomas Broich heute in Australien. Sie taugen sicherlich als Ausdruck momentanen Empfindens, es bleibt aber fraglich, ob sie in zwei Jahren noch gültig sind. Sie erinnern, und das ist wohl kein Zufall, an seinen Karrierebeginn, als die Welt noch in Ordnung schien.“
Gleiches dachte ich auch am Ende des Films. Und nun sitzt er auch wieder im Aktuellen Sportstudio. Deja vu? Vielleicht für ihn auch. Aber du schreibst ja selbst, dass Broich jetzt reflektierter ist. Ich hoffe es für ihn, denn auch irgendwann ist die Station Brisbane vorbei und ich bin mir nicht sicher, ob er so richtig ein Ziel vor den Augen hat. Muss man ja aber auch nicht um zufrieden zu leben (so gehts mir zumindestens;-). Ansonsten ein bemerkenswerter Film über einen bemerkenswerten Menschen, der trotz 120 Minuten total spannend ist (der Film). Dass Broich so unzufrieden sagt, er wäre kein erfolgreicher Mensch, verstehe ich nicht. Ich find sein Leben ist bisher zehnmal spannender als die von Schweinsteiger, Özil und Podolski zusammen. Hut ab auch vor Michael Oenning, der mir als Trainer noch ein Stück sympathischer geworden ist.
Schade das mein Idol ;-) Ansgar Brinkmann, der weiße Brasilianer nicht noch mehr zu Wort gekommen ist in der PostFilm-Veranstaltung.
@Hackelschorsch Weisste, was mich freut? Dass Du den Film gesehen hast. Man hat ja ab irgendwann den Eindruck, man führe Selbstgespräche, wenn man über Fußballfilme schreibt :)
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