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Wie es sein sollte.

Fanfreundschaften sind die Freundschaftsbänder von Wolfgang Petry in den Fußballstadien des Landes. Gerne garniert mit pathetischen Sprüchen wie „In Treue vereint“. So kommt es, dass sich Anhänger von Hertha zu den Fans des Karlsruher Sportclubs in den Gästeblock stellen. Nicht aus lokalem Interesse und der Prüfung der S-Bahnverbindung für die (wahrscheinliche) Anreise in der nächsten Spielzeit, sondern aus Fanfreundschaft.

Mit Fanfreundschaft kann man das Punktspiel zwischen dem 1. FC Wundervoll und dem magischen FC am Sonnabend aber nicht erklären. Auch der mediale Wettbewerb, den die Fußballwoche bereits am Montag der letzten Woche ausrief, indem sie Florian Bruns fragte, welche Verein kultiger sei, bringt kaum Erkenntnis darüber, was das Besondere an dieser Begegnung ist. Ausgerechnet Sky hatte in seiner Übertragung aber einen Erklärungsansatz gebracht. Sie betonten das Aufeinandertreffer zweier Vereine, die sich trotz Kommerzialisierung ihre Identität zu bewahren suchen. Und: Respekt. So sprach der Kommentator des Fanradios von St. Pauli kurz vor Spielbeginn, dass man über Union durchaus diskutieren könne. Zur Atmosphäre im Stadion und dem Engagement der Anhänger beim Stadionbau könne man aber nur sagen: Respekt!

Zum Respekt gehört immer auch das Kennenlernen und Verstehen des anderen und damit das Aufbrechen der wagenburgartigen Wir-Identität, hinter der sich gerne verschanzt wird. Parolen wie „Euer Hass ist unser Stolz“ oder „Keiner mag uns – Scheißegal“ illustrieren solch ein Verhalten. Reflexartig würde zum Beispiel das Vorspielgrillen am Freitag Abend mit Anhängern von St. Pauli, dem HSV, Babelsberg 03, FC Bayern und eben Union zum Risikogrillen erklärt werden. Aber es wurde ein Kennenlernen, das sich jenseits der transportierten unverrückbaren Grenzen bewegte. In Bildsprache übersetzt: Hamburger tranken Berliner Pilsner und Berliner Astra.

Der Sonnabend begann früh. Sehr früh. Bereits kurz vor neun Uhr sammelten sich reisewillige Anhänger der beiden Vereine gemeinsam am Anleger von Eddyline am Berliner Dom. Wer bis dato noch kein Gefühl dafür hatte, wie es bei der Verteilung der Dauerkartenanträge durch die Ultras St. Pauli dieses Jahr zuging, bekam beim Einstieg auf das Flaggschiff „Viktoria“ eine Demonstration davon. Ab da regierte die Glückseligkeit. Entweder, weil man das erste Frühstück mit Bier und Wiener Würstchen einnahm und bis zum Kanzleramt schipperte, oder weil es die Möglichkeit gab, sich in Wechselgesängen mit den anderen Booten einzusingen. Das Herz von St. Pauli und Eisern Union.

Die Berliner Zeitung brachte die Polizeipräsenz rund um das Stadion auf den Punkt:

Das Szenario passte zu diesem Tag, an dem die Einstufung als Risikospiel durch die Deutsche Fußball Liga und die massive Polizeipräsenz wie Verschwendung von Steuergeld wirkte. Warum müssen Fans derart bewacht werden, die sich mögen? Ach, hätten die Herren in Grün besser den Verkehrsabfluss geregelt, der chaotisch verlief, weil die Infrastruktur um das Stadion keine Spiele mit 19 000 Fans verträgt. So endete die Party im Stau.

Im Stadion: Anfeuerung der eigenen Mannschaft. Choreographien für das eigene Team von den Rängen. Kampf um die Punkte auf dem Platz ohne Nickeligkeiten und ausgiebiges Wälzen auf dem Rasen. Ein Stadionsprecher, der wie immer sein Herz sprechen lässt, als er erst die obligatorische Begleitung der Auswärtsfans durch die Polizei zum am weitesten entfernt liegenden S-Bahnhof samt 15minütiger Wartezeit im Gästeblock ankündigt, um dann hinzuzufügen: „Wer will, darf aber auch alleine nach Hause gehen.“ Dem Gegner wurde mit Applaus nach dem Spiel nicht nur der Respekt für ein Fußballspiel bezeugt. Sondern ausgerechnet von der Waldseite, wo die Ultras vom Wuhlesyndikat stehen, bekam der unterlegene Gast Anfeuerungsrufe für die restlichen Spiele um den Aufstieg.

Und der ganze Tag hatte rein gar nichts mit Fanfreundschaft zu tun. Sondern es ging nur um viele Anhänger, die eine ähnliche Idee davon haben, wie sie Fußball erleben wollen.


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8 Kommentare zu “Wie es sein sollte.

  1. Ich möchte gerne unterschreiben.
    Wobei ich für mich ganz individuell schon gerne den Begriff der Freundschaft verwenden möchte. Aber das ist eben etwas anderes als eine Fanfreundschaft mit In-Treue-Vereint und Pipapo und Hastenichgesehn.

  2. Freundschaftsschals werden auch deutlich überschätzt. Ganz anders sieht das mit Freundschafts-Thüringer-Bratwürsten aus. :-)

    Das war schon großes Kino, das alles so. Die Gesichter der verwirrten Polizisten am Anleger, was man denn so mit diesen völlig vermischt und bestgelaunt von Bord strömenden Fußballfans am besten machen sollte, waren a Kodak moment. :-)

  3. […] Idee davon haben, wie sie Fußball erleben wollen.” – schreibt @saumselig im Blog Textilvergehen – und ja von diesen Unionern bin ein Fan, nicht erst seit Sonnabend, aber seitdem ganz […]

  4. Fanfreundschaften sind doch voll 90er.

  5. sparschaeler

    ich hatte vor berlin keine freunde und das hat sich am we auch nicht geändert.

    ansonsten war aber alles dufte, wie der hamburger zu sagen pflegt.

  6. Schön geschrieben, Sebastian. Das macht mir richtig Vorfreude auf das Vor- und Nachgeplänkel beim Spiel gegen die Arminia in zwei Wochen :-)

  7. schnieke wars. allet.
    nur ne thüringer hab ick nich bekommen, na warte Sebastian.
    Ende einer Fanfreundschaft. :D

  8. Icke in Balin, wa?…

    So oder so ähnlich würden es wohl die Einheimischen ausdrücken… Ich war also in Berlin. Ist zwar schon zwei Wochen her, aber die Chronistenpflicht ruft mich lauter, je länger es her ist. Hier also mein Bericht: Bereits als der Spiel…

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