Gefangen im Netz aus Gewohnheit und Sucht ist es mir noch immer nicht möglich, meine Fußballbedürfnisse auf DFL-Zeit umzustellen. Schon Sommer- und Winterzeit fallen mir jedes Mal schwer, aber ein fußballfreier Sonnabendnachmittag entspricht ebensowenig meinem Biorhythmus wie ein Freitagabendspiel.
Umgekehrt bin ich spielklassenunabhängig in der Lage, reflexartig stehenzubleiben, Partei und ein Geländer zu ergreifen, sobald irgendwo in Sichtweite ein Ball rollt. Ich verlange Grillgut und Brausebier und kann erst wieder gehen, wenn der Schiedsrichter dreimal gepfiffen hat.
Oh, kucke mal, da drüben spielen sie Fußball! Fährste kurz rechts ran? Wie heißt´n dit Dorf eigentlich? Ach wat, ist doch egal.
Genauso, wie ich trotz Sommerzeit auf ungeklärte Weise noch immer den Weg ins Büro gefunden habe, seh ich mir auch Union zur Unzeit an, montags, freitags und an Sonntagen zum Frühstück – man hat ja doch keine Wahl. Aber ein bißchen ist es wie ohne Hunger essen, bloß, weil Miracoli grad fertig ist und einer Toffifee ins Spiel bringt. Vielleicht lässt sich das trainieren, dem Vernehmen nach gewöhnt sich so´n Körper an allerhand, sogar an Schichtdienst, Weihnachtsvöllerei, Milchnudeln (Milchnudeln!) und Fußball um 20:15 Uhr.
Ab und an muss man seinen Freund, den Körper, aber auch einfach mal lassen, wie er will. Wellness. Vitamine. Oder eben gepflegter Samstagnachmittagfußball. Lichtenberg 47 im Hans-Zoschke-Stadion.
Unsinnig wäre die Behauptung, in der sechsten Liga sei die Fußballwelt noch in Ordnung. Bei Lichtenberg 47 wurde lange Zeit darüber gestritten, ob man das Stadion in „HoWoGe-Arena Hans Zoschke“ umbenennen möchte oder nicht. Die Verantwortlichen haben sich dafür entschieden, die Namenstafel wurde heute enthüllt. Der Unterschied zu nach Banken benannten Erstligastadien ist aus meiner Sicht neben der regionalen Beschränkung vor allem das soziale Engagement beider Vertragspartner, das deutlich im Vordergrund steht. Ein politisches Zeichen in die richtige Richtung zudem, dass der Name Hans Zoschke beibehalten wird. Das ist letztlich eine interessengerechte Lösung für eines der liebenswertesten Fußallstadien Berlins.
Aber was hatte ich da jetzt gleich nochmal gewollt? Tafel enthüllen? Nee. Torwandschießen? Das wüsst ich. Drachenbasteln? Knapp daneben. Ach, richtig: Fußball.
Rotweiße gegen Weißrote. Das denkbar bezauberndste Publikum bestehend aus sämtlichen Schiebermützenopas Berlins plus fünf Jungs, die woanders Ultras geworden wären. Allerfeinste, von Herzen kommende Schiedsrichter- und Spielerbeleidigungen. Sowas können überhaupt nur Schiebermützenopas. „Ick bin ausjerutscht, wat kann ick denn dafür“ wird sich spielerseitig entschuldigt.
Wer den Rasen gesehen hat, weiß, dass der Mann in der Tat nichts dafür konnte. Zwei Elfmeter, davon einer verschossen. Zweikämpfe auf dem Platz, dem Ringkampf nicht ganz unähnlich, Spucken, Treten, Trikotzerren inbegriffen. Ein flaschewerfendes, pöbelndes 70jähriges Rumpelstilzchen, das sich als personalsorgengeplagter Trainer der Mannschaft aus Spandau entpuppte. Gelbrote Karte. Rumpelstilzchen so: „Wat hast´n jemacht?“ – und der Trikotzupfer „Weeß ick do nich.“
Aber so wüst das klingen mag: ich habe fernab der Eleganz einen sehr schönen Fußballnachmittag verbracht. Ich glaub, das mach ich öfter.
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Och Mann.
Nun ist mein schlechtes Gewissen noch größer, weil ich noch nie in meinem Stadtteil in die Regional- oder Oberliga gegangen bin.
Dein toller Beitrag stärkt mich aber, dieses Vorhaben umzusetzen.
@nedfuller Ich kann es Dir nur empfehlen!
Persönlich war ich überrascht von der Professionalität des Programmhefts. Das Stadion selbst gehört zu den schönsten Berlins und bietet 10.000 Zuschauern Platz. Auch wenn diese lange nicht mehr so zahlreich kamen, wie das Gras auf der Gegengerade zu erzählen wusste. Man hat einen schönen Blick auf das Spielfeld. Dazu gibt es Glühwein und Bier von „Alex Stadiontheke“ auf der Tribüne.
Etwas aufpassen muss man allerdings mit dem Gemecker, wenn man unten am Spielfeldrand steht. Nicht jeder Spieler hat sich im Griff, wenn man ihn wahlweise als üblen Treter oder sterbenden Schwan tituliert…
Toller Text, dem ich aus vollem Herzen zustimme und an dessen Perlen ich mich gar furchtbar erfreue.
„Partei und ein Geländer zu ergreifen“ ist mir davon die liebste. Oder doch.. oder…?
@steffi Genau so habe ich es jahrelang auf meinem „Leib- und Magen-Fußballplatz“, dem Friedrichsfelder Zachi, bei Motor Lichtenberg/Borussia Friedrichsfelde erlebt. Naja, Kunststück, ick wohnte ja gleich umme Ecke …
@ der Hönower: geile Ecke , wa ? Rummelsburger rulez ! Mußt mal wieder vorbeikommen, ist viel passiert.
[…] Testspiel nach Trainingsauftakt gastierte der 1.FC Wundervoll beim Sechstligisten Lichtenberg 47, auf den ebenso wie auf das Hans-Zoschke-Stadion bereits ein Loblied gesungen wurde. 2.412 Zuschauer sahen ein standesgemäßes […]
Hach ja, das Zoschke. Falls ich in meinen alten Wohnbezirk zurückkehre (wie sieht eigentlich grad der aktuelle Mietspiegel Berlins aus?) muss ich da auch mal wieder vorbeischauen.
PS: Das Programmheft ist tatsächlich zu empfehlen. Es beinhaltete auch mal die komplette Chronik der 47er. Man muss sich beginnend ab hier einfach mal durch die Liste der Ausgaben klicken. Ist ein bisschen mühselig und die hatten das alles auch mal als PDF-Version, aber die URL kann ich nicht mehr finden.